Tüftler Walter Günther: Aus der Zeit gefallen
„Es gibt Erfindungen, die man vergessen hat zu machen“, meint Walter Günther. Er holt sie nach. Zu Besuch in seiner kuriosen Werkstatt.
Düsseldorf. Ein Grillrost, der Würstchen automatisch wendet. Ein Kochtopf, der weiß, ob die Kartoffeln gar sind. Eine Schlagbohrmaschine, die ohne Strom auskommt. Walter Günther baut Geräte, die aussehen wie aus dem Museum — dabei hat es sie nie gegeben. Ein Fachmagazin für technologische Innovationen nannte ihn Deutschlands paradoxesten Erfinder.
Die Werkstatt liegt versteckt im Keller eines Hinterhauses im Frankfurter Nordend. Ein fensterloser schmaler Raum, vollgestopft mit Werkzeug und Altmetall. Trotz der Überfülle ist alles fein säuberlich geordnet. Ganz hinten ein Tisch mit karierter Decke, darauf die Lieblingsstücke des Tüftlers. 15 Maschinen hat der 51-Jährige bislang ersonnen, eine so verblüffend wie die andere — und jede existiert genau ein Mal.
Mit seiner Würstchenwendemaschine steht Günther einmal im Jahr auf dem Frankfurter Bahnhofsviertelfest. Für Besucher wirft er den Grill auch mal im Schuppen im Hinterhof an. Ein Stirlingmotor tuckert am Ende einer Reihe runder Halterungen, in die Günther bedächtig, wie es seine Art ist, die noch weißen Würste steckt. Zahnräder drehen sie um die eigene Achse, sie werden nahtlos braun, ohne dass Günther auch nur einen Finger rührt.
Ja doch, es habe schon Interessenten für die Bratwurstmaschine gegeben, berichtet er beim Grillen mit verschränkten Armen. Er habe aber keine Lust, sie nachzubauen. Ihm gehe es um das Erfinden und Austüfteln, um Ästhetik und Funktion. „Wer eine haben will, kann sie ja nachbauen.“ Er zuckt mit den Schultern. „Aber Baupläne gibt es keine.“
Günther empfängt Besucher im grauen Kittel über dem karierten Hemd, auf der Nase eine runde Brille, eine Schiebermütze auf dem Kopf. Auch dem begriffsstutzigsten Technik-Laien erklärt er geduldig die Funktionsweise seiner Maschinen. Nur eines kann er nicht leiden: wenn man ihn Bastler nennt. „Basteln tun Kinder“, knurrt er dann leicht verstimmt.
Die Dinge, die er erfindet, soll man gebrauchen können, aber sie müssen nicht in Serie gehen, um ihn glücklich zu machen. Einmal habe ein Kaufhaus für Raritäten bei ihm angeklopft, aber das Arrangement habe ihm nicht zugesagt. „Ich verkaufe meine Kinder nicht so billig“, kommentiert Günther die Offerte heute. Er benutzt seine Unikate lieber selbst.
Zum Beispiel den Topf, der wie ein Wasserkessel pfeift, wenn die Kartoffeln gar sind. „Aldentomat“ nennt ihn Günther. Innen am Deckel ist ein geknickter Löffel befestigt, auf den man eine Kartoffel legt. Wird sie weich, sinkt ein Dorn in die Kartoffel ein. Er zieht ein Gewicht nach unten, das Löcher im Deckel verschließt. Die heiße Luft muss durch die Pfeife entweichen — und zwar geräuschvoll.
Manchmal im Sommer, wenn es in seiner Dachwohnung zu heiß ist, übernachtet Günther in der Werkstatt. Dann lässt er sich um 6.30 Uhr von einer Kerze wecken: Ist das am Vorabend aus dem Kerzenständer herausgedrehte Stück abgebrannt, schließt sich eine Klappe und ein Gewicht schlägt gegen das Metall.
Dann steht Günther auf und fährt wie jeden Morgen in die Praunheimer Werkstätten, eine Einrichtung für Behinderte, in der er Menschen mit Handicap anleitet, einfache Montagearbeiten zu machen. Dass aus ihm kein Ingenieur wurde, liegt daran, dass er mit Mathematik und Physik, mit Formeln und Abstraktion auf Kriegsfuß steht. So absolvierte er nach dem Abitur eine Schlosserlehre.
Es gibt ein Buch über seine Arbeiten. Fotos setzen seine Erfindungen wie Kunstwerke in Szene. Professor Johannes Kirschenmann von der Akademie der Bildenden Künste in München schrieb das Vorwort: Günther sei „Realist und Träumer zugleich“. Er ersinne „Wunschmaschinen der Freiheit“. Um das Buch machen zu können, gab Günther lange gelebte Überzeugungen auf. Er kaufte ein Handy und einen Computer. Einen Fernseher hat er bis heute nicht — keine Zeit.
Günthers Passion ist es, „Dinge in die Vergangenheit hinein zu erfinden“. Das gilt auch für die Schlagbohrmaschine: Als dieses Werkzeug erfunden wurde, gab es schon Strom. Folglich kam keiner auf die Idee zu überlegen, wie eine handbetriebene Schlagbohrmaschine ausgesehen hätte. Günther hat sie gebaut. „Es gibt Erfindungen, die gemacht und vergessen wurden. Und Erfindungen, die man vergessen hat zu machen.“