Kriminalität Überfälle mit Maschinengewehren: Brutale Räuber hinter bürgerlicher Fassade
Die fünfköpfige Bande, der eine Serie gewalttätiger Überfälle auf Geldtransporter angelastet wird, tarnte sich mit Handwerksberufen und einem unauffälligen Leben. Bei fünf Taten ist sich die Polizei sicher, elf weitere werden noch geprüft.
Hagen. Kalaschnikows, Panzerfaust-Attrappen, rücksichtslose Schüsse auf einen Pförtner und die Besatzung von Geldtransportern - das steht für schweren Raub und versuchten Mord. Begangen von scheinbar netten und unauffälligen Nachbarn mit soliden Handwerksberufen - Elektriker, Schlosser, Lkw-Fahrer. Fünf Raubüberfälle auf Geldtransporter zwischen 2000 und 2015 ordnen Polizei und Staatsanwaltschaft Hagen den fünf in der vergangenen Woche verhafteten Männern mittlerweile sicher zu. Elf weitere Überfälle könnten noch dazukommen.
Um die bürgerliche Fassade der Bande einzureißen, war am 27. September ein Großaufgebot an Polizisten nötig. Über 200 Beamte, darunter mehrere Spezialeinsatzkommandos, durchsuchten am Morgen zeitgleich 17 Objekte - von Täterwohnungen bis zu Garagen. Als Kopf der Bande gilt ein 48-jähriger Elektriker aus Haan. Laut Klaus Müller, Leiter des Hagener Kommissariats zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, lebte er „ein bodenständiges Leben. Ein netter Mensch, der regelmäßig arbeiten geht.“
Sein Bruder (40) wurde in Wuppertal verhaftet, zwei Kumpane (52 und 53) in Haan und Hilden. Das jüngste Bandenmitglied (30), das entsprechend bei den frühesten Überfällen nicht beteiligt war, ging den Ermittlern in Solingen ins Netz. Der Mann steht in dringendem Tatverdacht, für den Winter den nächsten Überfall auf einen Geldtransporter geplant zu haben.
Die zum jetzigen Zeitpunkt älteste Tat der Bande reicht 17 Jahre zurück. Im März 2000 wurde ein Geldtransporter in der Lieferzone eines Verbrauchermarkts in Neuss gerammt und mit zwei Fahrzeugen blockiert. Die maskierten Männer eröffneten das Feuer auf den Transporter und zwangen die Fahrer, den Wagen zu öffnen. Beute nach heutigem Wert: 359.000 Euro.
2001 und 2002 folgten zwei Überfälle in Werl. Im ersten Fall auf dem Gelände eines Möbelhauses wollte ein Pförtner die Polizei rufen und geriet deswegen unter Beschuss. Ein Projektil verfehlte ihn nur knapp. Die Täter konnten mit 880.000 Euro fliehen. Ein Jahr später blockierte das Sicherheitssystem des Transporters, sodass die Räuber ohne Beute fliehen mussten. Ein Mitarbeiter des Unternehmens wurde durch Splitter verletzt. Es soll Aufforderungen gegeben haben, ihm ins Bein zu schießen, sogar den Zuruf: „Erschieß ihn!“ 2004 trat die Bande wieder bei einem Überfall in Wetter in Erscheinung, blieben aber auch ohne Beute.
Der jüngste Überfall erfolgte im Dezember 2015 in Dortmund. Die Räuber konnten mit gut 300.000 Euro entkommen. Insgesamt hätten sie in den 15 Jahren also 1,5 Millionen Euro erbeutet. Bei den Durchsuchungen in der vergangenen Woche wurden neben Waffen, Nachtsichtgeräten, Elektroschockern, teuren Uhren und Harley Davidsons auch 125.000 Euro Bargeld beschlagnahmt und gepfändet, dazu mehrere Grundstücke. Insgesamt, so Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli, bewegen sich die Pfändungswerte bei den einzelnen Tätern zwischen 300.000 und 1,7 Millionen Euro. Das alles deutet auf weitere Fälle hin.
Bei der Bande handelt es sich um Deutsche mit polnischen Wurzeln. Einer war zwischenzeitlich auch in einem Geldtransporter-Unternehmen beschäftigt. Unter den elf weiteren Taten, bei denen die Ermittler noch von Verbindungen zu der Bande ausgehen, befinden sich ein Raubüberfall in Solingen (2008), weitere Überfälle in Neuss (2012) sowie im Folgejahr im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf vor einer Sparkassenfiliale. „Diese Fälle sind noch alle bei uns im Fokus“, bestätigte Müller.
Pauli geht davon aus, dass noch nicht alle Mitglieder der Bande festgenommen wurden. „Es gibt noch Täter-DNA, die wir bisher nicht zuordnen konnten.“ Die Ermittler glauben, dass sich die Tätergruppen aus einem Banden-Kern und wechselnden Unterstützern zusammensetzten. Dass die Polizei den Räubern überhaupt nach so langer Zeit endlich auf die Spur kam, war einer kuriosen Zeugenaussage zu verdanken. Nach dem Dortmunder Überfall ging ein Hinweis bei der Staatsanwaltschaft Hagen ein, der zwar auf eine ganz andere Tätergruppe verwies. „Aber trotzdem ist uns über diesen Hinweis die Verbindung zu den tatsächlichen Tätern gelungen.“ Konkreter wollte Müller nicht werden. Die Nachweise der älteren Fälle gelangen über moderne Untersuchungsmethoden des Landeskriminalamtes und des gerichtsmedizinischen Instituts München. Die Experten schafften es, aus dem alten Spurenmaterial doch noch DNA zu extrahieren. Das Problem: Von den Verdächtigen gab es gar keine DNA-Speicherungen, sodass eine Zuordnung schwierig war. Doch als der erste Mann ins Visier der Ermittler geriet, seien aus dem Umfeld „weitere DNA-Spuren besorgt worden“.
Die nächste Tat der Bande war offenbar schon in Vorbereitung. Fahrtrouten waren bereits ausgekundschaftet worden, es gab Schießübungen und Material für eine Flex wurde besorgt. Doch dann kam der 27. September - und nach 17 Jahren endlich der Zugriff.