Hype Und plötzlich überall Einhörner
Das Fabelwesen erlebt einen beispiellosen Hype. Der Markt hat reagiert: Denn mit der Begeisterung lässt sich Geld verdienen.
Düsseldorf. Die Wege des Internets sind unergründlich. Und zwar mindestens so unergründlich wie das, was zuweilen seinen Weg dort herausfindet und sich dann in der wirklichen Welt als echter Hype manifestiert: Aktuell sind es Einhörner, die sich einer beispiellosen Begeisterung erfreuen dürfen. Dass sich damit Geld verdienen lässt, ist in den Köpfen der Werbeschaffenden angekommen. Branchenübergreifend wird auf sämtliche Produkte ein lächelndes Einhorn gedruckt, und schon klingelt die Kasse.
Branchenübergreifend ist dabei durchaus zutreffend: Schokolade, Shampoo, Toilettenpapier, Süßwaren, Smoothies, Bratwurst, Ketchup (mit Glitzer), Einhorn-Schnaps (ebenfalls mit Glitzer) oder Frisurentrends (ja, ein Horn kann auch aus Haaren gedreht werden) werden mit den Fabelwesen aufgepeppt (Fotos: dpa). Dabei scheint sich abzuzeichnen: Wider Erwarten sind es nicht nur Kinder, die auf Einhörner abfahren. Auch die größeren und die ganz großen Kinder, auch die über 30, gehen mit dem Trend. Und dabei sehen viele dieser Einhörner nicht mystisch-schön, sondern verstörend plump aus. Wichtig ist auch, dass es von Glitzer und Regenbogenfarben begleitet wird. Und Himbeergeschmack kann auch nie schaden. Kürzlich stellte Funny-Frisch Kartoffelchips mit ebendiesem Aroma vor. Der Grund: ein Einhorn auf der Verpackung.
Marketingexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Vallendar erklärt, dass der Trend so gut funktioniert, weil die Kunden positive Assoziationen mit Einhörnern verbinden: Kinderträume, nicht erwachsen werden, Hoffnung, guter Ausgang.
Beim Smoothie-Hersteller True Fruits, bekannt für seine markigen Texte auf den Glasflaschen, fanden die Einhörner erstmals 2014 ihre Erwähnung. Damals wurde ein neuer, knallig pinkfarbener Frucht-Drink vermarktet. Um zu erklären, dass die grelle Farbe einzig durch den Zusatz der Drachenfrucht entstehe, wurde vom Hersteller augenzwinkernd versichert, dass es sich bei dem Produkt keinesfalls um Einhornkotze handele. Der Hashtag Einhornkotze ging bei Facebook und Instagram gleich durch die Decke. Gut für den Hersteller. Auch das Getränk kam überdies sehr gut an, bestätigt eine Sprecherin.
Als Paukenschlag könnte man sicher die Idee beim Schokoladenfabrikanten Ritter Sport beschreiben, Ende vergangenen Jahres eine dreifarbige Einhorn-Schokolade zu kreieren. Die 100 000 produzierten Exemplare der weiß-pink-lilafarbenen Joghurtschokolade waren im Nu vergriffen und wurden im Internet für bis zu 100 Euro gehandelt. Für 200 Gramm Schokolade.
Sven Eggert, Inhaber und Geschäftsführer der Werbeagentur Eggert Group in Düsseldorf, gibt Entwarnung: Für ihn ist der Hype, zumindest seine Verwendung in der Werbung, so gut wie vorbei. „Wir würden jetzt nicht mehr darauf anspringen“, sagt Eggert. Trotzdem habe das Einhorn einen guten Job gemacht. Der Hype funktioniere so gut, weil er von den sozialen Netzwerken verstärkt werde. „In Zeiten vor dem Internet gab es mal die Pril-Blumen, die jeder in der Küche haben wollte“, sagt Eggert. Heute gehöre es zu der Arbeit von Werbeagenturen dazu, Facebook und Youtube nach Trends abzusuchen.
Tatsächlich ist es in den sozialen Netzwerken schier unmöglich, Einhornbildern, -witzen, -kostümen, -rezepten oder gar -tattoos zu entkommen. Die Facebook—Seite „Unicorn-Lovers“, die ganz eifrig Einhorn-Content aller Art teilt, hat beachtliche 277 000 Follower. Das deutschsprachige Pendant „Einhornliebe“ hat 128 000 Follower und verbreitet Weisheiten wie „Glitzer ist das neue Schwarz“. Und empfiehlt sämtliche Ramsch-Artikel wie Frühstücksbrettchen oder Lichterketten im Einhorn-Stil.
Die Supermarkt-Kette Netto hat kürzlich Toilettenpapier mit Einhornmotiv und Zuckerwatte-Duft sowie Küchen- und Taschentücher im Einhorndesign auf den Markt gebracht. Nach Aussage einer Pressesprecherin waren die Produkte vielerorts schnell vergriffen, an einem Facebook-Gewinnspiel haben sich mehrere tausend Menschen beteiligt.
Die Einhorn-Bratwurst des Fleischfabrikanten Puttkammer ist mit Lebensmittelfarbe zartrosa eingefärbt und natürlich zieren ein pfundiges Einhorn und Regenbogenfarben das Etikett. Passend dazu: rosafarbener Ketchup mit Glitzer des Herstellers Bautz’ner.
Das Ganze funktioniert auch in Textil. Die Mode hat den Trend entdeckt und aufgegriffen. Peek und Cloppenburg Düsseldorf führt derzeit vor allen Dingen Damenshirts mit Einhornmotiven, werde aber in den kommenden Monaten weitere Artikel mit ins Sortiment aufnehmen, so die Bereichsleiterin für den Zentraleinkauf von Damenartikeln, Miriam Anlauf. „Unsere T-Shirts laufen sehr gut.“ Anlauf erwartet, dass der Trend noch mindestens bis zum Winter anhalten werde.
Wer nun aber denkt, nur Frauen könnten sich für Knuddel-Einhörner begeistern, der hat die Rechnung ohne die „Unicorn-Crew Viersen“ gemacht: einer waschechten Motorrad-Gang mit Einhorn-Rucksäcken über den schwarzen Lederjacken. Laut Medienberichten habe einer der Biker eine junge Frau mit ebendiesem Rucksack beeindrucken wollen und kaufte ihn ihr prompt nach — um gleich auf der ersten Fahrt viel Beifall vom Straßenrand aus zu ernten. Das Gruppensymbol war geboren.
Wen das nicht amüsiert: Trends haben die Eigenschaft, vorüberzugehen. Es dürfte bald vorbei sein. Marketingexperte Fassnacht sieht schon klare Anzeichen dafür. So habe etwa die Drogeriemarktkette dm mit der Eigenmarke Balea ein Duschgel mit zwei Dinosauriern in die Regale gestellt, die ein Einhorn aufgefuttert haben.