Unfallserie: Bahnreisende in der Tür-Falle
Ältere Menschen und Kinder haben sich schwer verletzt. Die Justiz ermittelt gegen die Aufsichtsbehörde.
Solingen. Die Rentnerin Waltraud Schulz war stets fit, genoss ihr Leben - bis es vor fast vier Jahren auf dem Hauptbahnhof in Wuppertal-Elberfeld zu einem verhängnisvollen Unfall kam. Der Solingerin wurde die automatische Tür der Regionalbahn, die sie nach Hause bringen sollte, zum Verhängnis: Oberschenkelhalsbruch. Seither ist die nun bald 82-jährige Frau behindert. "Ohne Hilfe kann ich mich nicht mehr fortbewegen", sagt sie. In ihrer Wohnung benutzt sie den Rollstuhl, draußen geht sie mühsam an Stöcken. Mit ihren Schmerzen und ihrem Leid musste Waltraud Schulz alleine fertig werden. "Von der Bahn kam keinerlei Unterstützung." Schadenersatz gab es nicht.
Waldtraud Schulz erinnert sich noch genau. "Ich hatte meinen Sohn in Berlin besucht, kam mit dem ICE von dort in Wuppertal an." Am gleichen Bahnsteig wartete schon die Regionalbahn nach Solingen. Um mit ihrem Koffer die Stufe in den Zug zu schaffen, hielt sie sich am Haltegriff fest. "Da ging plötzlich die Türe zu, und ich flog im hohen Bogen in den Zug." Sechs Wochen verbrachte die Rentnerin nach dem Unfall im Krankenhaus und in der Reha, der Bruch ist nie wieder völlig verheilt.
So wie der Solingerin hat es auch andere Bahnreisende an den Zugtüren getroffen. Jetzt ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft gegen 13 Beamte des Eisenbahnbundesamtes (EBA) in Bonn. Das Eisenbahnbundesamt (EBA) kontrolliert seit der Privatisierung der Bahn AG den Schienenverkehr. Rund 60 Fälle sind untersucht worden, bei denen Reisende wegen möglicherweise nicht korrekt funktionierender vollautomatischer Türen verletzt wurden. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Bahnverkehrs richten sich gegen Verantwortliche des Amtes, die mit der Technik der Automatik-Türen befasst waren. Der Vorwurf: Die EBA-Mitarbeiter hätten von dem Problem gewusst, aber nichts unternommen.
Die Türschließungssysteme waren im Jahr 2000 mit Genehmigung des EBA in den Bahnzügen der Baureihe 423 und 426 in Betrieb genommen worden. Ihr Manko: Die Lichtschranke registriert nur Füße, nicht aber auch Hände und Gepäckteile im Einstiegsbereich. 2001 hatte es die ersten Unfälle gegeben. Dabei wurden ältere Menschen oder Kinder zu Boden geschleudert, Kinderhände oder dünne Arme eingequetscht. In 27untersuchten Fällen soll die Türschließung eindeutig als Ursache für Unfälle ausgemacht worden sein.
Technik Automatiktüren sollen die Fahrgäste schützen und eine zügige Abfertigung der Züge sicherstellen. Früher gab es Zugbegleiter oder Aufsichtspersonal am Bahnsteig, das die Schließung der Türen und die Abfahrt erst auslöste, nachdem sie kontrolliert hatten, dass alle Türen frei sind. Dieses Personal wurde jedoch wegrationalisiert.
Lichtschranke In den betroffenen Nahverkehrs-Zügen befanden sich neben den Türen und knapp über dem Fußboden Lichtschranken. Solange sie durch einen Fuß unterbrochen wurden, konnte die Tür nicht schließen. Sobald aber die Lichtschranke drei Sekunden lang nicht durchschritten wurde, schloss die Tür - auch wenn der Zug noch nicht abfuhr. Die Tür ließ sich dann durch Knopfdruck wieder öffnen.
Risiko Drei Sekunden für den Einstieg sind gerade für ältere Menschen keine lange Zeit - erst recht nicht, wenn sie zwischen Bahnsteig und Waggon, wie etwa in Wuppertal-Elberfeld, mit Gepäck eine Stufe überwinden müssen.