Vera Lynn: Mit 92 zurück in der Hitparade
Porträt: Vera Lynn hat im Zweiten Weltkrieg für britische Soldaten gesungen und feiert jetzt einen neuen Erfolg.
"Wir werden uns wiedersehen. Ich weiß nicht, wo. Ich weiß nicht, wann. Aber ich weiß, dass wir uns eines sonnigen Tages wiedersehen. Lächle weiter, wie du es immer tust, bis der blaue Himmel alle dunklen Wolken vertreibt." (We’ll meet again, 1939)
London. Es vergeht fast keine Woche ohne Anfrage. Dann schneidet Vera Lynn bei einer Eröffnung ein Band durch, setzt sich in einen Armee-Jeep oder erzählt aus ihrem Leben, das sie mit 92 Jahren noch einmal in die britischen Hitparade geführt hat: "We’ll meet again - The Very Best of Vera Lynn", ihre alten Hits neu aufgelegt.
Das Album ist auf Platz20 eingestiegen, steht vor Michael Jackson, vor Eminem und U2. Damit ist sie die älteste lebende Sängerin, die es in den UK-Charts jemals so weit nach vorne geschafft hat. "Ich bin begeistert und entzückt", sagt Vera Lynn. In der Hitparade ist sie seit 50Jahren nicht mehr gewesen. Das verwundert nicht, denn ihre bekanntesten Lieder stammen aus der Kriegszeit.
Vera Lynn sitzt 1939 im Garten daheim in Essex, als sie im Radio vom Kriegseintritt der Briten hört. "Ich dachte, das war es mit meiner Musikkarriere. Jetzt muss ich in die Munitionsfabrik." Mit sieben Jahren hat die Tochter eines Hafenarbeiters das erste Mal auf der Bühne gestanden, weil ihre Eltern das wollten. "Das tat man dann", sagt sie. Mit 14 verlässt sie die Schule, um das zu tun, was sie inzwischen auch selbst will: singen.
Dank ihrer leicht rauchigen Stimme bleibt ihr der Weg in die Munitionsfabrik erspart. Ihre Lieder wie "The white cliffs of Dover" sind insbesondere bei Soldaten erfolgreich. Die Klippen von Dover "waren das Letzte, was die Jungs von England sahen, als sie in den Krieg zogen. Dieses Lied symbolisierte für sie die Heimat", sagt Vera Lynn.
Die britische Regierung mag ihre Lieder zunächst nicht. Sie würden Heimweh bei den Soldaten verursachen und sie so rühren, dass sie nicht mehr zum Kampf bereit seien. "Die Engländer haben Angst vor Emotionen", sagt Lynn. Die BBC hatte diese Angst nicht, die Sängerin wird im Radio gespielt - und immer erfolgreicher. Sie reist an die Front, wird zum Liebling der Truppe. Allein vier Monate bleibt sie in Birma, wo die Briten gegen die Japaner kämpfen.
Zu ihren Bewunderern gehört Marlene Dietrich. Sie singt für amerikanische Soldaten, Zarah Leander und Lale Andersen werden auf deutscher Seite berühmt. Das Strickmuster der Lieder ist bei allen gleich: Hoffnung, Heimat, Herzeleid.
Vera Lynn bekommt säckeweise Post von Soldaten, die sich in ihre Stimme und ihr Foto verliebt haben. Danach schreiben die Frauen. Tenor: "Sie haben mir meinen Mann ausgespannt." Hat sie natürlich nicht. Seit 1941 ist sie verheiratet mit dem Saxofonisten Harry Lewis, ihrer Jugendliebe. Und sie bleibt es bis zu seinem Tod 1999.
Mit ihrem Lied "Auf Wiederseh’n Sweetheart" erreicht Vera Lynn 1952 als erste Britin Platz eins der US-Charts. 1975 wird sie von der Queen, mit deren Mutter sie befreundet ist, zur "Dame Commander of the British Empire" ernannt. Die Band Pink Floyd schreibt einen Song über sie. Johnny Cash covert "We’ll meet again" für sein letztes Album. 1995 gibt Vera Lynn im Buckingham Palace ihr letztes Konzert. Doch vergessen ist sie nicht. Bis heute.