Verwaltungsgericht kritisiert deutsche Abschiebepraxis

Richter prangern mangelnde Konsequenz bei Umsetzung von Urteilen an. Im Fall Bivsi sehen sie dafür ein Paradebeispiel.

Düsseldorf. Scharf kritisiert hat die Spitze des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts die deutsche Abschiebepraxis. „Es dreht sich ein riesiges rechtsstaatliches Rad und die Urteile laufen dennoch ins Leere“, sagte Gerichtsvizepräsidentin Gabriele Verstegen. „Der Staat muss rechtsstaatliche Entscheidungen vollziehen, ansonsten kann er sich das Geld sparen“, ergänzte Gerichtspräsident Andreas Heusch. Dass auch die Eltern des Mädchens wieder hätten einreisen dürfen, sei „ein Schlag ins Gesicht aller Ausländer, die sich rechtskonform verhalten“. Bivsis Eltern hätten „getrickst, betrogen und getäuscht, den Staat jahrelang vorgeführt“, sagte Heusch. Das Bleiberecht könne nicht davon abhängen, „wie mediengerecht das Anliegen präsentiert“ werde.

Bivsi war am 29. Mai vergangenen Jahres mit ihren Eltern nach Nepal abgeschoben worden, nachdem der Asylantrag der Familie in allen Instanzen gescheitert war. Die 15-Jährige und ihre Eltern waren nach erfolgreichem Protest auch von Politikern im vergangenen August mit einem Schüleraustausch-Visum wieder eingereist. Die Eltern dürfen Bivsi aus humanitären Gründen für die Dauer der Ausbildung begleiten.

Felix Banaszak, Landesvorsitzender der Grünen in NRW, über die Äußerungen des Gerichts zum Fall Bivsi.

Die Grünen halten die Kritik des Verwaltungsgerichts Düsseldorf für inakzeptabel. „Eine solche öffentliche Diffamierung durch einen Richter ist nicht angemessen“, sagte Grünen-Landeschef Felix Banaszak gestern. Die Familie versuche, ihr altes Leben zu führen. „Es ist deshalb sehr bedauerlich, wenn sie durch solche Äußerungen des Gerichtspräsidenten wieder rausgerissen werden und fürchten müssen, dass sich alles wiederholt.“ Das Grundgesetz sehe explizit vor, dass im Einzelfall auch außergerichtliche Lösungen gefunden werden können.

Weiter kritisierten die Richter, dass faktisch niemand in den Iran und den Irak abgeschoben werde, obwohl es im Irak durch das Zurückdrängen des IS durchaus sichere Regionen wie den Nordirak gebe. Die nordafrikanischen Staaten nähmen ebenfalls kaum eigene Staatsbürger aus Deutschland zurück.

Das größte Verwaltungsgericht Nordrhein-Westfalens hat im vergangenen Jahr einen Rekordeingang von Asylklagen verzeichnet. 19 300 Klagen und Eilanträge seien eingegangen, eine Steigerung von noch einmal 41 Prozent nach 141 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2016. Bundesweit seien es 400 000 und landesweit 80 000 Verfahren gewesen.

Bei der Zahl der Schutzsuchenden hätten Menschen aus Afghanistan am Gericht jene aus Syrien an der Spitze abgelöst. Die Erfolgsquote der Afghanen liege bei 30 Prozent. Obwohl es auch in Afghanistan sichere Regionen gebe, würden dorthin praktisch nur Straftäter abgeschoben, so das Gericht.

Kritisch äußerten sich die Richter auch zum Kirchenasyl und dem Werben staatlicher Psychiatrien mit Slogans wie „Fühlen sie sich von Abschiebung bedroht?“ Man habe den Eindruck gewonnen, Aufenthalte im Kirchenasyl oder in der Psychiatrie würden gezielt eingesetzt, um Fristen ins Leere laufen zu lassen. lnw/Red