Verzweiflung und Wut in Bodenfelde

Bodenfelde (dpa) - Einen Tag nach der Beerdigung der ermordeten Nina hat Bodenfelde auch Abschied von Tobias genommen. In einem bewegenden Gottesdienst erinnerten hunderte Verwandte, Freunde und Mitschüler an den beliebten 13-Jährigen.

Doch unter die Trauer mischten sich auch immer mehr Wut und Unverständnis - auch über die Arbeit der Behörden. Der Bürgermeister erhob Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft.

„Tobias ist aus der Achterbahnfahrt seines Lebens herausgerissen worden, und wir stehen fassungslos und verzweifelt an der Unglücksstelle“, sagte Pfarrer Marc Trebing bei der Trauerfeier. Viele Menschen in Bodenfelde fragen sich, ob die Verbrechen an Tobias und der 14 Jahre alten Nina nicht hätten verhindert werden können.

Denn für die Polizei war der mutmaßliche Täter Jan O. kein Unbekannter. Nur zehn Tage vor dem Mord an Nina hatten Ermittler nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ einen Sicherungshaftbefehl gegen den drogen- und alkoholsüchtigen 26-Jährigen angefragt, den die zuständigen Behörden in Stade aber abgelehnt hätten.

Der Haftbefehl hätte jedoch das Leben der beiden Jugendlichen retten können, meinte Bürgermeister Hartmut Koch (Unabhängige Wählergemeinschaft). „Die grausamen Taten wären dann nicht passiert. Man kann Nina und Tobias nicht mehr zurückholen, aber das muss aufgearbeitet werden.“ Die Staatsanwaltschaften in Lüneburg und Stade waren am Samstag für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Fest steht, dass der wegen einer Diebstahlserie Verurteilte wiederholt gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Außerdem entfachte er vor wenigen Wochen ein Feuer in einem Schuppen, das auf ein Mehrfamilienhaus übergriff. Es habe aber keine Hinweise gegeben, dass er gewalttätig werde könne, erläuterte kürzlich eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Lüneburg. Die Behörden beschlossen jedoch, Jan O. in einer Entziehungsklinik unterzubringen. Seine Einweisung stand kurz bevor - allerdings zu spät für Nina und Tobias.

Am Freitag hatte der 26-Jährige gestanden, die beiden Teenager in einem Fichtenwäldchen umgebracht zu haben. Die 14-Jährige musste nach seiner Aussage sterben, weil sie sich gegen Annäherungsversuche gewehrt hatte. Er zerrte sie dem Geständnis zufolge am 15. November zwischen die Bäume, schlug ihr auf den Kopf und stach auf sie ein. Die Polizei in Northeim wollte sich am Samstag nicht zu einem „Focus“-Bericht äußern, wonach der mutmaßliche Mörder die Leiche des Mädchens mit seinem Handy filmte.

Tobias wurde fünf Tage später zum Opfer. Er hatte sich zufällig in der Nähe von Ninas Leiche aufgehalten. Jan O. fühlte sich nach eigenen Angaben ertappt und tötete den Jungen, um die erste Bluttat zu vertuschen. Dabei soll er sich dem „Focus“ zufolge selbst so schwer verletzt haben, dass er Stunden später den Notarzt rief und sich wegen einer tiefen Schnittwunde in der Hand ins Krankenhaus bringen ließ.

Jan O. stammt aus einem zerrütteten Elternhaus, in dem Gewalt angeblich an der Tagesordnung war. Dennoch fiel er damals während der gerichtlich angeordneten Entziehungskur nicht als besonders gewalttätig auf. „Er hatte verschiedene Seiten, darunter auch liebenswerte“, sagte der Geschäftsführer der Einrichtung Neues Land, Jochen Buhrow, der Nachrichtenagentur dpa in Hannover. „Er hat Fortschritte gemacht und gut mitgearbeitet.“ Nach der zehnmonatigen Therapie sei der junge Mann aber wieder rückfällig geworden. „Dann ist es bergab gegangen.“