Vogelzug: Zehn Millionen Tiere zum Schlemmen im Wattenmeer
Husum (dpa) - Schleswig-Holsteins Wattenmeer gehört zurzeit den Vögeln. Die „Nomaden der Lüfte“ legen hier auf ihrem Rückflug aus den Brutgebieten in der Arktis einen Zwischenstopp ein.
Sie gesellen sich zu den einheimischen Brütern und deren Nachwuchs. Nach Angaben der Umweltstiftung „World Wide Fund For Nature“ (WWF) treffen sich im Wattenmeer rund zehn Millionen nordische Brutvögel, um sich Fettreserven für den strapaziösen Weiterflug in die Wintergebiete anzufressen. „Derzeit sind besonders die nordischen Gänse Teil des Landschaftsbildes“, sagt Vogelexperte Klaus Günther von der Naturschutzgesellschaft „Schutzstation Wattenmeer“.
Allein die Zahl der Graugänse schätzt der Biologe derzeit auf bis zu 20 000 an der Küste. Sie kommen zum Teil aus nordischen und östlichen Gebieten her und vermischen sich mit den Graugänsen, die in der Region gebrütet haben. Doch das ist eher von theoretischem Interesse: „Wer woher kommt, kann man kaum unterscheiden, denn sie sehen alle gleich aus“, sagt Günther.
„Dazu kommen etwa 4000 bis 5000 Nonnengänse.“ Derzeit seien es hauptsächlich Nonnengänse, die von den baltischen Inseln kommen. Ihre Zahl werde sich bis Ende Oktober Anfang November auf bis zu 100 000 Vögel steigern, sagte Günther.
Die meisten Wildgänse verbringen den Sommer zum Brüten im hohen Norden. Sie kommen in mehreren Wellen und verschiedenen Populationen, erklärt Günther. Die Vögel sind nicht nur hübsch durch ihr Gefieder beziehungsweise imposant durch ihre bloße Masse anzusehen, sondern machen auch durch ihre lauten Rufe auf sich aufmerksam. Das weltweit einmalige Vogel-Spektakel lockt jeden Herbst Vogelfreunde nicht nur aus Deutschland an die Nordsee.
Auch die Vogel-Experten warten gespannt auf die Ankunft der Meeresgänse, um ihren Bruterfolg einschätzen zu können. Die Vögel leben den Sommer über in ihren arktischen Brutgebieten relativ weit verstreut, so dass ein Überblick schwer ist. „Hier im Wattenmeer bekommt man jedoch einen Gesamteindruck vom Bruterfolg der Vögel im Norden“, sagt Günther: „Jungvögel unterscheiden sich deutlich im Gefieder von den Altvögeln. Man kann sie daher leicht auszählen.“
Die Vögel treffen sich nicht wegen der schönen Natur im Wattenmeer, sondern weil sie hier einen reich gedeckten Tisch finden. Die regelmäßig mit Ebbe und Flut frei fallenden Wattflächen sind Lebensraum unzähliger Würmer, Krebse, Muscheln und Schnecken. Das ist quasi das Flugbenzin der Zugvögel für ihre Reise in die Winterquartiere.
Dabei darf der Vogel aber nicht zu schwer werden, denn jedes zusätzliche Gramm Gewicht kostet beim Flug auch zusätzliche Energie. Um Gewicht einzusparen, reduzieren einige Vögel wie die Pfuhlschnepfe vor dem Start sämtliche inneren Organe, die sie während des Fluges nicht zwingend benötigt, weiß Biologe Rainer Schulz von der Naturschutzgesellschaft „Schutzstation Wattenmeer“: Neben Magen, Darm und Leber werden sogar die Beine zurückgebildet. Nach der Ankunft im Winterquartier muss dann der Verdauungstrakt schleunigst wieder voll aufgebaut werden.