Vorher, nachher Wie das Feuer in Notre-Dame wütete
Scherben von unersetzlichen Fenstern aus dem Mittelalter und ein klaffendes Loch über dem Chor: Am Dienstag wird das ganze Ausmaß der Schäden sichtbar, den der Großbrand in der Pariser Kathedrale Notre-Dame angerichtet hat.
Während übernächtigte Feuerwehrleute die letzten Flammen löschen, zeigen sich Pariser und Touristen am Seine-Ufer vereint. Sie setzen auf das Versprechen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Wir werden Notre-Dame wieder aufbauen."
Generalvikar Philippe Marsset ist einer der ersten, der die Schäden an dem gotischen Meisterwerk aus dem 12. Jahrhundert in Augenschein nehmen kann. Rauch steigt über dem Altar auf, wo große Teile des Dachstuhls und der berühmte Spitzturm am Vorabend eingestürzt sind. Doch das Kreuz auf dem Altar steht noch und trotzt der Verwüstung.
"Es war die Hölle", sagt der 61-jährige Marsset über das Feuer, das kurz nach der Abendmesse ausbrach. "Aber wir lassen uns nicht in die Knie zwingen", betont der Generalvikar. "Diese Kirche wurde vor gut 850 Jahren gebaut. Sie hat Kriege überstanden und Bomben - Notre-Dame übersteht alles."
Nur wenige Stunden vor dem Feuer hat Waltraud Drexler die Kathedrale besucht. "So ein monumentaler Bau ist zerstört worden", sagt die Touristin aus dem badischen Rheinstetten traurig. "Es wird viele Jahre dauern, bis er wieder aufgebaut ist."
Die 65-Jährige zeigt Fotos vom Inneren der Kirche mit ihren leuchtenden Rosetten, die sie am Vortag aufgenommen hat. Sie wollte mit ihrem Lebensgefährten eigentlich auf den Turm steigen, bekam aber keinen Einlass mehr. Jetzt ist nur noch ein verkohltes Baugerüst an der Stelle zu sehen, wo der Spitzturm stand. "Von daher berührt es uns auf besondere Weise", sagt Drexler.
Der Pariser Kunststudent Christophe Provot hat die ganze Nacht in der Nähe "seiner" Kathedrale verbracht. Der Katholik hat mit anderen Gläubigen gebetet und gesungen, während die Flammen lichterloh aus dem Dach schlugen. "Unsere Bitten sind erhört worden: Sie wird aufrecht bleiben", sagt der 25-Jährige mit glänzenden Augen und blickt auf die intakte Fassade von Notre-Dame.
In Paris brandet unterdessen eine Welle der Hilfsbereitschaft an: Die französischen Milliardärsfamilien Arnault, Pinault und Bettencourt sowie der Ölkonzern Total wollen insgesamt 600 Millionen Euro spenden, die Stadt Paris sagte weitere 50 Millionen Euro. Auch aus Deutschland und anderen Ländern gibt es Solidaritätsbekundungen.
Auch andere Kirchen sind nach Katastrophen wieder in vollem Glanz erstrahlt. Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche etwa hat 183 Millionen Euro gekostet - nicht einmal halb so viel wie nun für Notre-Dame zugesagt ist.
"Das Geld ist da", stellt der Tourist Jürgen Kind aus Karlsruhe fest, der mit anderen Schaulustigen an der Seine steht. Er kann sich sogar vorstellen, dass auf dem Dach von Notre-Dame etwas ganz Neuartiges entsteht - "wie in Berlin im Reichstag, wo Norman Foster die Kuppel gebaut hat."
Doch das ist Zukunftsmusik. In Paris stehen nun zunächst die Ostertage an. Generalvikar Marsset weiß noch nicht, wie er diese verbringen wird. "Für diesen Mittwoch, Donnerstag und Freitag hatten wir Feiern geplant", sagt er bedauernd.
Für gläubige Christen ist Ostern das Fest von Tod und Wiederaufstehung. Auch Notre-Dame wird aus den Flammen auferstehen, da sind sich Pariser und Touristen sicher. Die Grundfesten der Kathedrale und die Rosetten haben den Brand überstanden, und auch die große Orgel und Reliquien wie Jesus' Dornenkrone konnten gerettet werden. Aus vielen Mündern ist an diesem Tag ein Wort zu hören: "Wunder".