Wahrheitsfindung in Geheimdienst-Turnhalle
Vier Jahre nach Ermordung des libanesischen Regierungschefs UN-Tribunal gegründet.
Den Haag. Es war ein Zufall mit Symbolkraft. Als die UN einen Sitz für das Tribunal zur Bestrafung der Mörder des libanesischen Ex-Regierungschefs Rafik Hariri suchten, sollte der sicher und möglichst weit von den Brandherden des Nahen Ostens entfernt sein. Da wurde gerade die Zentrale des niederländischen Geheimdienstes bei Den Haag frei. So konstituierte sich das Sondertribunal für den Libanon (STL) nun gestern in einer Sporthalle, in der einst holländische Spione Handball spielten.
Das passt ins Bild. Schließlich gibt es vier Jahre nach dem Bombenattentat, bei dem Hariri und 22 weitere Menschen am 14. Februar 2005 auf der Beiruter Flaniermeile Corniche getötet wurden, auch noch keinen Angeklagten. Vielleicht ändert sich das demnächst. "Ich werde alles in meinen Kräften stehende tun, damit die Ermittlungen rasch voran kommen", versprach UN-Chef-ankläger Daniel Bellemare.
Das Attentat war eines der blutigsten in der Geschichte des Libanon. Und es hatte durchaus dramatische Folgen. Weil von Anfang an Syrien als Drahtzieher verdächtigt worden war, gingen Hunderttausende Libanesen auf die Straße. Mit den USA an der Spitze erhöhte der Westen den Druck auf Syrien, und am Ende zog die Regierung in Damaskus Zehntausende Soldaten aus dem Libanon nach nahezu drei Jahrzehnten zurück.
Von dem Tribunal verspricht sich der jetzige Ministerpräsident Fuad Siniora, dass "die Straflosigkeit im Libanon ein Ende finden" wird. "Wir fordern die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit." Dass die nun in der Ex-Geheimdienstzentrale im Städtchen Leidschendam ans Licht kommt, wird von Beobachtern jedoch bezweifelt.
Schon der Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis, der die UN- Ermittlungen bis Dezember 2005 leitete, hatte deutlich gemacht, dass der professionell geplante Hariri-Anschlag kaum ohne Kollaboration syrischer Funktionäre mit Angehörigen der damals von Syrien kontrollierten libanesischen Sicherheitsdienste möglich gewesen wäre.
Viele fühlten sich dadurch in der Annahme bestärkt, dass Syriens Präsident Baschar al-Assad persönlich den Mordbefehl gegeben haben könnte. In den nächsten Tagen will Bellemare bei der Justiz in Beirut nun die Auslieferung von vier verdächtigen Generälen beantragen, die damals die Polizei, den Sicherheitsdienst und Elitetruppen der Armee kontrollierten. Die sitzen dort bereits seit drei Jahren in U-Haft und bestreiten jede Schuld.
Mit Spannung wird erwartet, ob der Chefankläger noch andere Verdächtige präsentieren kann. Denn das Beweis- und Indizienmaterial ist zwar umfangreich, aber anscheinend nur bedingt aussagekräftig. Dazu gehören Trümmer des Lastwagens, in dem die Bombe gezündet wurde. Heute weiß man, dass er 2004 in Japan gestohlen und von Hehlern im Libanon an Unbekannte verkauft wurde.
Hunderttausende von Telefonmitschnitten gehören zu den Unterlagen, die stets von einem großen Sicherheitsaufgebot begleitete und daher gut erkennbare Ermittler in Beirut zusammentrugen. Und auch ein Zahn. Er gehörte angeblich dem Mann, der den Bomben-Lkw fuhr. Über ihn wollen die Fahnder wissen, dass er Ende 20 war und nicht aus dem Libanon stammte.
Aussichtsreicher sieht es bei weiteren potenziellen Zeugen der Anklage wohl auch nicht aus. Einer verschwand spurlos aus seiner geschützten Unterkunft in Frankreich. Ein angeblicher syrischer Spion, der als "Schlüsselzeuge" galt, setzte sich nach Syrien ab - und behauptete dort öffentlich, er sei vom Hariri-Clan für Aussagen gegen die Regierung in Damaskus bezahlt worden.