Was die Schrift alles verrät
Kalligraphin Alexandra Remmes aus Düsseldorf erklärt, warum Handgeschriebenes weiterhin wichtig ist.
Düsseldorf. Ob mit Gänsekiel, mit Pinsel oder mit Feder, auf Papier, Stoff oder Pergament — Schreiben ist Alexandra Remmes’ Leben. Die Düsseldorfer Kalligraphin behält ihre Kunst des Schönschreibens aber nicht für sich, sondern gibt sie in Kursen an andere Menschen weiter. „Jeder kann schön schreiben“, sagt sie. Das vermittelt sie auch in Fernkursen an Schüler in den USA, Griechenland und Japan.
Remmes hat für Klett unter anderem eine Schmuckausgabe von „Herr der Ringe“ gestaltet und historische Urkunden für die ZDF-Sendung „Die Deutschen“ geschrieben. Sie beherrscht unzählige Schriften, während viele Menschen heutzutage nicht einmal eine eigene Handschrift ausbilden und regelmäßig schreiben.
Das hatte jüngst eine Umfrage in Großbritannien ergeben. Auf den Bericht unserer Zeitung darüber gab es große Resonanz — und viele handgeschriebene Briefe.
Dass aber viele Leute nicht schreiben, sei der Faulheit geschuldet. Außerdem sieht Remmes ein Bildungsproblem: Die Menschen beherrschen die deutsche Sprache nicht mehr so gut. „Die Schrift darf als Kulturgut aber nicht ihre Bedeutung verlieren“, mahnt Remmes. Dafür mache sich auch der Kalligraphie-Verein Ars Scribendi stark, dem die Düsseldorferin bis 2009 vorsaß.
„In anderen europäischen Ländern wird auf die Handschrift viel mehr Wert gelegt.“ In Deutschland sei das leider nicht der Fall. „Sobald es etwas Neues gibt, wird das Alte entsorgt“, kritisiert sie. Ein Beispiel sehe sie in der Tatsache, dass an vielen Grundschulen keine Schreibschrift mehr gelehrt wird. „Natürlich wird viel am PC geschrieben, aber auch diese Schrift hat ein Kalligraph entworfen.“
Dass die Schrift noch eine Bedeutung hat, erfährt Remmes auch in ihrem Atelier. „Manch ein Vorgesetzter möchte seine krakelige Schrift mit dem schicken Mont-Blanc-Füller verbessern.“ Sie bietet dafür Kurse an, in denen sie die Schrift optimiert. „Die Handschrift ist so wichtig wie der Daumenabdruck“, sagt Remmes. Sie bilde sich durch Erfahrung. „Wenn wir das alles vergessen, schaffen wir unsere Kultur ab.“
Tatsächlich gibt es eine Berufsgruppe, die sich der Deutung der Schrift widmet. „Die Handschrift verrät viel über die Gesamtpersönlichkeit eines Menschen, seine intellektuellen Fähigkeiten, soziale Kompetenz und Ehrlichkeit“, sagt Dr. Helmut Ploog, Vorsitzender des Berufsverbandes geprüfter Graphologen. Er zieht anhand der Handschrift Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Schreibers, erstellt etwa Gutachten für Arbeitgeber.
Ploog hat auch die Handschrift der Bundeskanzlerin analysiert. Angela Merkels klare runde Schrift wirke harmonisch, stabil und ausgewogen. „Wenn sich ein Charakter ändert, sieht man das auch an der Schrift“, weiß Ploog. Arbeitslosigkeit wirke sich negativ auf das Schriftbild aus.
Ploog hofft, dass mehr Menschen schreiben, als in der britischen Studie angegeben. „Leute empfinden nur, dass sie wenig schreiben, zeigt eine andere Studie.“ Handgeschriebenes verschwinde nie ganz. Ploog: „Liebesbriefe muss man per Hand schreiben.“ Remmes pflichtet bei: „Karten, Briefe, Einkaufszettel — schreibt man nicht am PC.“ Handgeschriebenes sei immer ein Unikat.