Weltkriegsbunker im Elsass: Die Schatten der Vergangenheit
Karl Hans Stöß führt Besucher durch alte Bunkeranlagen im Elsass. Sein persönlicher Beitrag zur Völkerverständigung.
Düsseldorf. Wer mit Karl Hans Stöß in den Untergrund abtaucht, zieht in den Krieg — gedanklich zumindest. Der 70-Jährige zeigt auf den frisch gedruckten Comicband, auf dessen erster Seite bereits das Blut spritzt: deutsche und französische Soldaten, die mit dem Bajonett aufeinanderstürzen, Bomben, Explosionen, Schützengräben. Und ein Reiseführer, der hinter dem Comic sanft lächelt. „Das muss man aushalten“, sagt Stöß, „denn nur so kann man sich seiner Vergangenheit stellen.“
Karl Hans Stöß war mal Mathelehrer. Heute ist er der Deutsche, der Besucher durch die Bunker in Schönenburg bei Straßburg führt — jenen Ort, den seine Landsleute vor mehr als 70 Jahren attackierten. Ein Ort, der seiner Mutter noch heute nicht geheuer ist — vorm Franzos’ muss man sich in Acht nehmen.
„Ich hoffe, niemand hat Platzangst“, sagt Stöß zu Beginn der Tour. Der Aufzug gondelt 30 Meter in die Tiefe, hinab in das feuchte Bollwerk. Willkommen im Weltkrieg. Als die Türen aufgehen, sieht es aus wie in der U-Bahn. Eine scheinbar endlose, enge Röhre führt immer geradeaus, durchzogen von Schienen und Stromkabeln. Überall Tanks und Hohlräume — Platz für 135 000 Granaten.
„Jede Generation blickt anders auf die Geschichte zurück“, sagt Stöß mit klarer Stimme. Der Generation seiner Eltern fiel es schwer, sich in andere hineinzuversetzen. Stöß dagegen wollte bereits in seiner Schulzeit mehr über die Menschen wissen, die jenseits des Rheins leben und in seine Heimatstadt Offenburg einmarschiert waren. Wissen, warum auf seinem Zeugnis bis zur sechsten Klasse französische Noten standen.
1955, gerade mal zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, beteiligte sich der Teenager am ersten Schüleraustausch seiner Heimatstadt mit Frankreich. „Diese weltoffene Art hatte es mir angetan. Und dann war da noch dieses französische Mädchen, in das ich mich prompt verknallte.“
Im Bunker läuft Stöß zur Hochform auf. „Die Verhältnisse hier unten waren so beengt, dass sich drei Personen ein Bett teilen mussten“, sagt Stöß, ehe er sich dem nächsten Raum widmet. Das Lazarett berührt den deutschen Reiseführer besonders. „Sogar an einen Raum zum Sterben hat man gedacht. Das ist bemerkenswert.“ Gestorben wurde in Schönenburg wider Erwarten kaum — trotz deutschem Dauerfeuer.
„Heute haben wir andere Probleme“, holt Stöß seine Zuhörer in die Gegenwart zurück. „Unser größter Feind ist die Nässe.“ Manchmal auch die Dämonen der Vergangenheit, die den deutschen Führer im französischen Bunker einholen: „Natürlich treffe ich auch auf Leute, die aus Prinzip etwas gegen Deutsche haben“, sagt Stöß, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Umso mehr freut ihn, wie viele sich auch heute noch für die Geschichte interessieren.
35 000 Besucher kommen jährlich nach Schönenburg und erhalten durch ihren Eintritt die Festung. Als junger Lehrer hatte Stöß mit den Kollegen in der Heimat schon eher Probleme. „Viele waren in den 80ern derart pazifistisch eingestellt, dass sie mich sofort in die rechte Ecke gedrängt haben.“
Für Karl Hans Stöß ein harter Schlag: An der Heimatfront schlägt Stöß derweil eine ganz andere Schlacht: Wie kann er die eigene Familie für seine ungewöhnliche Leidenschaft begeistern? „Am Anfang habe ich meine drei Söhne regelmäßig mitgeschleift, aber das Interesse hielt sich in Grenzen.“ Immerhin: Vor kurzem war der Enkel zum ersten Mal mit im Bunker.