„Zeitversetztes Fernsehen“ Wenn der Ball zu spät ins Tor rollt

Berlin (dpa) - Wann bei der Fußball-WM das erste Tor fällt, steht für Zuschauer, die das Fernsehsignal per Streaming empfangen, jetzt schon fest: Nämlich mindestens 20 Sekunden später.

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Dann erst geht der Ball
auf den TV-Geräten ins Tor - bestenfalls.

Es bleibe bei der Übertragung alles beim Alten, das TV-Signal komme
teilweise „erschreckend langsam“ auf den Fernsehern an, sagte Ulrike
Kuhlmann, Redakteurin beim IT-Fachmagazin „c't“, der Deutschen
Presse-Agentur. Die Redaktion hatte die Ausstrahlung über
verschiedene Wege gemessen und teils bis zu 50 Sekunden Zeitunterschied festgestellt - eine halbe Ewigkeit für Fußballfans,
die bei offenem Fenster auf das vom Nachbarn längst bejubelte Tor
warten müssen. „Haben die Nachbarn Zugriff auf Satellitensignale,
können das beim Elfmeterschießen seeehr lange Sekunden werden“, sagt
Kuhlmann.

Bereits zur WM vor vier Jahren hatte der Effekt des „zeitversetzten
Fernsehens“ bei vielen Zuschauern für Unmut gesorgt. Ganz vorne sind
auch in diesem Jahr die Fans, die per Satellit empfangen. Dabei sei
bei ersten Messungen das Bild in schwacher SD-Auflösung mit 4,5
Sekunden am schnellsten angekommen, obwohl dafür das ausgesendete
HD-Signal noch heruntergerechnet werden müsse, sagt Kuhlmann. Dicht
darauf folgt das Sat-Signal in HD, das eine halbe Sekunde später auf
dem Fernsehbildschirm erscheint, aber auch mit einem deutlich
besseren Bild entschädigt.

Wer sein TV-Programm terrestrisch über DVB-T2 HD erhält, empfängst
die Ausstrahlung im ZDF (2,5 Sekunden Verzögerung zum Sat-SD-Signal)
jedoch deutlich schneller als in der ARD (4,5 Sekunden). Dahinter
folgt den Messungen der „c't“ zufolge das Signal über Kabel. In hoher
Auflösung braucht es je nach TV-Sender 6 oder 6,5 Sekunden.

Noch länger müssen Nutzer des Telekom-Angebots „Entertain“ auf das
Tor warten. „Die Problematik ist bekannt“, sagte Telekom-Sprecher
Malte Reinhardt der dpa. Sie betreffe alle digitalen
Übertragungswege, für die die über Satellit übermittelten Signale
noch transcodiert werden müssten. Aktuell falle die Wiedergabe des
TV-Bilds über das Streaming-Angebot „Entertain“ etwa zwischen 8 und
10 Sekunden zurück. Die Telekom arbeite zwar an neuen Technologien,
aber bis zur WM werde sich an der Verzögerung nichts ändern.

Streaming-Anbieter, die keine Multicast-Technologie (Aussendung eines
Signals an viele Kunden) verwenden, lägen aber noch weit dahinter, da
könne die Verzögerung schon mal bis zu 50 Sekunden dauern, sagte
Reinhardt. Auf dieses Schneckentempo kommen auch die Redakteure der
„c't“ in ihrem Testlabor. „Da jubeln die Nachbarn schon lange“, bevor
der Ball auf dem eigenen Bildschirm ins Tor gehe, sagt Kuhlmann.

„Wenn die Straße jubelt, weiß man, es passiert gleich was“, sagt Jörg
Meyer vom TV-Streaming-Anbieter Zattoo. Bei Live-Übertragungen wie
der Fußball-WM könne die Verzögerung beim Streaming schon mal
unangenehm auffallen, wenn die ganze Straße mitfiebere. Beim normalen
TV-Programm, etwa beim „Tatort“ spiele sie dagegen eher keine Rolle.
„Die zeitliche Verzögerung kann man nicht wegreden.“

„Wir speichern zudem das Signal für eine flüssige Wiedergabe ein paar
Sekunden auf den Endgeräten zwischen“, sagt Meyer. Die Schnelligkeit
hänge aber auch von Faktoren wie der Leistungsfähigkeit des
Fernsehers ab. Zattoo sei aber immerhin schneller als der Live-Stream
über Mediatheken von ARD und ZDF. Die „c't“-Redakteure kommen je nach
Ausgabemedium auf Verzögerungen von 34 bis 46 Sekunden.

Es gebe technisch bereits verschiedene Ansätze in der
TV-Streaming-Branche, das Phänomen in den Griff zu bekommen, sagt
Meyer. Spitzenreiter ist der Streaming-Dienst Magine, der auf einem
AppleTV auf 21 Sekunden bei der ARD und 20 Sekunden beim ZDF kommt.
Unterdessen ist das Streaming-Angebot Waipu.tv bereits in diesem
Sommer einen großen Schritt weiter. Noch rechtzeitig zur WM will die
Exaring AG „das schnellste Tor ins Wohnzimmer“ bringen. Mit einer
neuen Technologie werde Waipu.tv die Tore sogar noch einige Sekunden
früher als im Kabel-Fernsehen zeigen können, kündigte das Unternehmen
an.

Der Anbieter hat dafür ein schnelles Übertragungsverfahren entwickelt
und bereits international zum Patent angemeldet. „Über unser eigenes
Glasfasernetz und die Vielzahl von Koppelpunkten mit DSL-Netzen
können wir die Stärke unseres neuen Übertragungsverfahrens maximal
ausreizen“, erklärte Johannes Deisenhofer, Chef der Exaring AG. Dafür
werde es zusätzlich mit intelligentem Traffic- und Routing-Management
kombiniert.

Die Turbo-Übertragung soll noch rechtzeitig vor Start der WM allen
Kunden zur Verfügung stehen, die das „Perfect“-Paket abonniert haben.
Vorerst lässt sich das Angebot jedoch nur mit Amazons Fire TV oder
einem Fire-Tablet sowie über eine App auf Android-Smartphones nutzen.

Sven Hansen und Ulrike Kuhlmann von der „c't“ haben das neue Waipu.TV
bereits im Testlabor unter die Lupe genommen: Demnach kommt es bei
der Ausstrahlung sowohl in der ARD als auch im ZDF auf eine
Latenzzeit von 2,3 Sekunden und liegt damit vor dem terrestrischen
Signal (4,5 beziehungsweise 2,5 Sekunden) wie auch vor der
HD-Ausstrahlung über Kabel (6,5 und 6 Sekunden). Schneller ist nur
das Bild über Satellit (0,5 Sekunden Latenz in hoher Auflösung). Als
Ausgangswert (Null) wurde das herkömmliche SD-Bild über Satellit
genommen, das mit 4,5 Sekunden hinter der Echtzeit liegt. Denn ganz
ohne Verzögerung geht es nur auf dem Fußballfeld.