Journalisten erzählen Wie das Coronavirus die Welt verändert
Düsseldorf · Vier Reporter der Gruppe „Writers’ Room“ erzählen, wie die Pandemie ihre Heimat getroffen hat. Eindrücke aus Afghanistan, der Türkei, Bulgarien und Italien.
Die Coronavirus-Pandemie betrifft nahezu jedes Land weltweit. Wie stark sich der Alltag gewandelt hat, berichten Autoren des Netzwerks „Writers’ Room“, einer Initiative des Literaturbüros NRW.
Afghanistan Ajmal Arian Mayel arbeitete als Journalist für die deutsche Armee in seiner Heimat Afghanistan und kam 2016 nach Düsseldorf.
Ich wohne mit meiner Frau und meinen Kindern in Düsseldorf, aber meine Eltern und andere Verwandte leben noch in Afghanistan. Während ich hier von morgens bis abends Informationen über das Virus und die Lage im Land bekomme, gibt es in Afghanistan wenig Nachrichten. Das macht die Menschen sehr unsicher – dazu kommen die fast schon „alltäglichen“ Ängste vor Anschlägen und Ähnlichem.
Große Sorge macht den Menschen, dass täglich tausende Menschen, die vor dem Krieg nach Iran geflohen waren, zurück nach Afghanistan kommen, da iranische Krankenhäuser keine afghanischen Flüchtlinge akzeptieren. Zwar meldete die afghanische Botschaft in Teheran, dass iranische Beamte versichert hätten, es gäbe keine Diskriminierung und Unterscheidung bei der Behandlung von Patienten, aber die Zahl der Rückkehrer spricht eine andere Sprache. Iran gehört zu den von dem Virus am schlimmsten betroffenen Ländern mit mehr als 32 000 Infizierten und über 2000 Toten. Und das bei einem vollkommen unzureichenden Gesundheitssystem! In Afghanistan wächst die Angst vor einem Feind, der keine Grenzzäune kennt und alle Abschottungsbemühungen überwindet.
Türkei Yasemin Doganbey arbeitete zehn Jahre als Redakteurin und Journalistin in ihrem Heimatland Türkei. 2016 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland.
Anfangs wurde das Virus in der Türkei nicht ernst genommen. In einem Land ohne transparente Demokratie wird vieles schnell als Verschwörungstheorie abgetan. Und so ist es auch in der Türkei passiert. Anstatt zu informieren oder Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den Medien über die Verschwörungstheorien diskutiert. Die gefragteste Theorie war, dass die USA alles geplant hätten und dass das Coronavirus eine biologische Waffe sei. Die Menschen dachten, dass das Virus nur ein Problem fernöstlicher Länder sei, und vor allem in den sozialen Medien wurde häufig darüber gewitzelt. Noch als fast alle Länder den Alarmzustand ausgerufen hatten, wiederholte die türkische Regierung immer wieder, dass es in der Türkei keinen Virus gäbe und deswegen keine Maßnahmen notwendig wären.
Erst als die Weltbank ankündigte, dass sie die vom Coronavirus-Ausbruch betroffenen Länder mit einem Hilfspaket unterstützen werde, informierte der Gesundheitsminister am 11. März über den ersten Corona-Fall und am 18. März über den ersten Toten in der Türkei. Schließlich verhängte die Regierung drastische Einschränkungen des Alltagslebens, aber sie haben keine langfristigen Pläne veröffentlicht. Fragen nach genügend Testkits, Laboren, Masken und Atemgeräte wurden nicht gestellt.
Trotz der Veröffentlichung von Infizierten-Zahlen herrscht große Unsicherheit, da nicht jeder erkrankte Mensch getestet werden kann. Laut Gesundheitsminister gibt es in der Türkei nur sechs Labore, in denen der Corona-Test durchgeführt werden kann. Auch das Informationsmanagement ist vollkommen unzureichend. Es gibt immer noch viele Personen, die nicht wissen, was sie tun sollen und wo sie sich mit Symptomen melden können. Auch gibt es viel Widersprüchliches: Zum Beispiel wurden einerseits die Schulen geschlossen, gleichzeitig eröffnete in Sivas ein großes Einkaufszentrum mit vielen Angeboten. Wegen der Menschenmenge bestand sogar Zerquetschungsgefahr!
Das Corona-Virus zeigt deutlich die Schwachstellen des nun 20 Jahre herrschenden Systems Erdogan und seiner Regierungspartei AKP. Der Kampf gegen diese Krankheit hat in der Türkei bei Null angefangen!
Bulgarien Asya Grigorova Tsonkova, geboren in Bulgarien, lebt seit einigen Jahren in Deutschland. Sie arbeitet in der Transport- und Logistikbranche mit dem Schwerpunkt Marketing. Außerdem schreibt sie über verschiedene Themen, zeichnet und spielt Gitarre.
Das Coronavirus kam auch nach Bulgarien. Es gibt mehrere Kranke und erste Gestorbene. Jetzt ist auch eine komplette Stadt geschlossen: die Stadt Bansko, das bekannte Skigebiet. Radio und Fernsehen berichten nicht nur über den Stand in Bulgarien, sondern über die Lage in ganz Europa und der ganzen Welt. Die bulgarischen Medien sagen: Die europäischen Länder sind wie „angedocktes Geschirr“ (bulgarisches Sprichwort). Endlich verstehen alle, dass wir eine Europäische Gemeinschaft sind, nicht nur Teil einer Union auf dem Papier.
Das allgemeine Bild in Bulgarien sieht so aus: Die Familien halten zusammen, die Regierung unternimmt starke Maßnahmen: Schulen, Kindergärten und Universitäten sind bis 13. April geschlossen, ebenso wie Kulturinstitutionen, Theater oder Kinos. Die Krankheit ist da, die Angst ist auch da, die Familien, die Angehörige im Ausland haben, leiden besonders und telefonieren regelmäßig. Fast jede Familie in Bulgarien hat mindestens ein Mitglied, das in den letzten Jahren ausgewandert ist. Aus ökonomischen Gründen haben viele eine neue Heimat in Italien, Frankreich, Deutschland, Spanien oder England gefunden.
Jede Krise verbindet und verwandelt. Diese Krise verbindet die Bulgaren als Nation. Die Bulgaren sind diszipliniert geworden, reagieren schneller und angemessen und lernen von der Erfahrung der anderen Länder. Sie lernen etwas, was früher übersehen wurde: Die Bildungsträger setzen jetzt auf den „digital class room“ und nutzen Cloud-Technologien. Man versteht, dass das bulgarische Gesundheitswesen seine Kapazitäten steigern muss. Und die Menschen entwickeln Geduld. Fakt ist, dass das Virus großen ökonomischen Schaden anrichtet und dass das Land zwei bis drei Jahre brauchen wird, um sich zu erholen.
Italien Lucio ist 2010 aus Italien nach Düsseldorf gekommen. Hier arbeitet der Drehbuchautor und Journalist in der Gastronomie.
Ich verfolge die vielen traurigen Nachrichten aus Italien nicht mehr regelmäßig – gar nicht verwundert war ich aber über Berichte von großen Protesten gegen die Schließung von Clubs und Cafés und vereinzelten Versuchen von Wiedereröffnungen nach nicht einmal einer Woche Ausnahmezustand. Der Grund für diesen Starrsinn liegt sicher darin, dass es einfach nicht möglich ist, Italiener in den eigenen vier Wänden einzusperren!
Italiener müssen am späten Nachmittag in die Bar gehen, um einen Aperitif zu trinken und sich vom Geschwätz mit anderen zu ernähren. Sie müssen in Gesichter blicken, in die Augen anderer eindringen, und danach forschen, welches Geheimnis sich hinter der äußeren Maske verbirgt. Wie Charaktere aus der Theaterkomödie, die auf der Bühne nicht mehr zugelassen sind, fühlen sie sich verstümmelt: Was soll man Freunden oder Müttern beim Frühstück erzählen? Worüber soll man gestikulieren?
Das Leben ist eine Leichenhalle ohne Öffentlichkeit! Wie klein scheinen jetzt die Sorgen über Arbeitslosigkeit, der Ärger über disfunktionale öffentliche Strukturen und korrupte Regierungen. Zumindest konnte man ausgehen. Nein, nimm alles weg, aber nicht die Freiheit, herumzuspielen. Das ist kein Leben!
Was für ein immenses Leiden unter dieser Inhaftierung, welche grausame Bestrafung des Schicksals. So viel Kasteiung - nur wegen eines mikroskopischen Virus.