Wieso die Rettungsgasse so wichtig ist

Nach einem Unfall können Sekunden über Leben und Tod entscheiden. Ein Sanitäter hat seine Erfahrungen mit Autofahrern in einem Buch festgehalten.

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Erkelenz. Wenn Jörg Nießen Blaulicht und Martinshorn am Rettungswagen einschaltet, muss es meist schnell gehen. Dann sind etwa Autos zusammengekracht und Menschen verletzt worden. Nießen ist Rettungssanitäter und Feuerwehrmann in Köln. Gerade bei Unfällen auf der Autobahn erlebt er immer wieder, dass Verkehrsteilnehmer keine Rettungsgasse bilden und den Einsatz der Helfer behindern. In seinem neuen Buch „Rettungsgasse ist kein Straßenname“, das am Freitag erschienen ist, erzählt Nießen von seinen Erfahrungen. Die Geschichten haben zwar einen ernsten Hintergrund, sind aber humorvoll aufgeschrieben.

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Ein bisschen Verständnis hat Nießen ja schon. Für die, die neugierig gucken zum Beispiel. „Neugierde ist in der Natur des Menschen“, sagt der Mann aus dem rheinischen Erkelenz. Klar wolle man wissen, was da vorne vor sich geht und warum man im Stau steht. Doch Nießens Verständnis hört auf, wenn er dadurch von seiner Arbeit abgehalten wird. Denn bei einem Unfall können wenige Augenblicke über Leben und Tod entscheiden. Ist jemand schwer verletzt im Auto eingeklemmt und muss sofort versorgt werden? Oder hält das Opfer noch durch? Um das einschätzen zu können, müsse er erst einmal vor Ort sein, sagt der Notfallsanitäter. Daran denken viele nicht.

Dass Autofahrern zunehmend bewusst wird, wie wichtig eine Rettungsgasse im Notfall sein kann, den Eindruck hat Nießen schon. „Dass die Brücken mit Bannern und Hinweisen tapeziert sind, hilft wohl langsam.“ Dennoch: Über rücksichtslose Autofahrer ärgert er sich immer wieder.

„Radikal egoistisch“ nennt Professor Rainer Banse so ein Verhalten. Der Sozialpsychologe an der Uni Bonn befasst sich mit Verkehrspsychologie. Die vielen Kampagnen, die die Polizei zu diesem Thema fährt, seien unbedingt nötig, sagt Banse. Sicher gebe es Verkehrsteilnehmer, die aus Unwissenheit handeln. „Bei manchen ist die Fahrschule lange her oder es wurde zu dieser Zeit noch anders gehandhabt“, sagt er. Doch dann gebe es auch einige, die einfach nicht ausweichen wollen, sogar den Rettungskräften hinterherfahren, um Zeit zu sparen.

Rainer Banse, Psychologe

„Da gibt es Menschen, die geradezu empört sind, dass sie im Stau stehen und warten müssen“, sagt Banse. Die eigenen Interessen rücken in den Vordergrund — und wollen mit aller Kraft durchgesetzt werden. „Da muss eine soziale Norm geschaffen und durchgesetzt werden“, fordert der Experte. Etwa indem andere Autofahrer dem Verkehrsrüpel zeigen, dass er sich falsch verhält — durch Hupen oder andere Hinweise.

Zum anderen müsse ein solches Fehlverhalten, das nicht nur ärgerlich, sondern oftmals auch gefährlich sei, bestraft werden. Erst im Frühjahr hat die Polizei aufgerüstet: Seit April sind in Nordrhein-Westfalen 50 sogenannte Dashcams im Einsatz. Damit können die Beamten Verstöße „beweissicher dokumentieren“, wie es aus dem Innenministerium heißt. Bei einer Alarmfahrt werde die Kamera eingeschaltet — wer den Platz nicht frei macht, wird aufgenommen und bekommt Post.

Und das kann teuer werden. Laut Innenministerium muss die Rettungsgasse bereits bei stockendem Verkehr freigemacht werden. Wer erst zur Seite fährt, wenn die Einsatzkräfte zu sehen oder zu hören sind, muss mit 200 Euro Bußgeld und zwei Punkten in Flensburg rechnen. Für die, die Helfer behindern oder Menschen gefährden, wird es noch teurer — auch Fahrverbote kommen dann dazu. In 2018 gab es zwischen Januar und April 51 Verstöße, Vergleichszahlen hat das Ministerium nicht. Bis zum neuen Bußgeldkatalog im Oktober 2017 gab es für das im Weg Stehen nur ein Verwarngeld.

Doch die Rettungsgasse auf Autobahn oder Landstraße ist nicht die einzige, die Nießen in seinem Buch beschreibt. „Brandlast im Treppenhaus“ nennen es Fachleute — oder wie Nießen sagt: Die Rettungsgasse der anderen Art. „Bücherregal, Wandschrank, Kinderwagen, Winterreifen — habe ich alles schon gesehen.“ Auch das erschwere es den Sanitätern, dorthin zu gelangen, wo sie gebraucht werden. Oder dass bei einer Reanimation im Restaurant an den Nebentischen weiter serviert und gespeist wird. „Wir brauchen bei der Arbeit einfach Platz. Aber wenn wir dann barsch werden, ernten wir auch noch verständnislose Blicke.“

Dennoch will Nießen nicht, dass sein Buch als erhobener Zeigefinger verstanden wird. „Es passieren auch immer wieder Situationen, die zum Schmunzeln sind“, sagt er. Ganz deutlich macht er auch: Die erzählten Geschichten sind nicht der Arbeitsalltag. „Eher die Spitze des Eisbergs aus dem Blaulichtmilieu.“

Wenn die Leser sich dann noch ein paar Gedanken machen, vielleicht ihren Kram aus dem Treppenhaus räumen oder frühzeitig im Stau beiseite fahren — umso besser.