Winter verbreitet Chaos in Europa: Über 250 Tote

Berlin/Offenbach/Belgrad (dpa) - Superkälte und Schneemassen haben Teile Europas ins größte Winterchaos seit Jahrzehnten gestürzt. Nach zwei Tagen Schneefall in Serbien bereitet die Regierung laut Medien den Ausnahmezustand vor.

In Belgrad, Rom und anderen Städten brach der Verkehr zusammen, Menschen waren nach Lawinen in Tunneln eingeschlossen. Die Zahl der Kältetoten stieg seit dem Wintereinbruch vor gut einer Woche europaweit auf über 250. Die Kältewelle erreichte sogar Nordafrika. In Deutschland und anderswo war die Nacht zum Samstag die bisher kälteste Nacht des Winters. Ein Ende des Frostes ist nicht abzusehen. Dabei ist neuer Schnee angesagt.

Den tiefsten Wert in Deutschland verzeichnete der Wetterdienst Meteomedia am 1600 Meter hoch gelegenen Funtensee im Nationalpark Berchtesgaden mit minus 36,4 Grad. Kältester Ort im Messnetz des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war das bayerische Oberstdorf mit minus 27,3 Grad. Mindestens bis zum nächsten Wochenende sollen die Temperaturen unter Null bleiben, auch tagsüber. „Die kalte Luft kann nicht weg“, sagte DWD-Meteorologe Thomas Ruppert am Samstag. Grund ist eine Hochdruckbrücke, die sich zwischen dem russischen Kältehoch „Dieter“ und dem Azorenhoch über dem Atlantik im Westen gebildet hat. Milde Luft habe deshalb keine Chance, nach Deutschland vorzudringen.

In Serbien wurde bereits in fast 30 Gemeinden der Ausnahmezustand ausgerufen. Alle Grund- und Mittelschulen sowie Kindergärten sollen in dieser Woche geschlossen bleiben. Weil auch die Hauptstadt im Verkehrschaos versinkt, rief die Regierung alle Bürger zur Hilfe auf. Am Samstagmorgen meldeten sich Hunderte Menschen, um beim Räumen mitzuhelfen. In Briefen an Zeitungen und Fernsehanstalten beschwerten sich die Bürger, dass die Behörden völlig unzureichend auf den Schnee vorbereitet und selbst die Transitstraßen unpassierbar waren.

Schnee schloss etwa 90 Menschen in einem Straßentunnel in Montenegro 24 Stunden lang ein. Erst am Samstagmittag konnten die Behörden in der Hauptstadt Podgorica die Befreiung der Betroffenen - unter ihnen viele Kinder - melden. Auch die beiden Staatspräsidenten von Kroatien und Serbien, Ivo Josipovic und Boris Tadic, saßen Medien zufolge im Schnee fest - im Gebirge vor den Toren von Sarajevo. In Bosnien harrte die Handballmannschaft des serbischen Erstligaklubs Hemofarm 20 Kilometer vor der Stadt Mostar ebenfalls einen ganzen Tag in einem Tunnel aus, weil Lawinen die Zugänge verschüttet hatten.

Nach der völlig ungewöhnlichen Kältewelle mit 30 Zentimetern Schnee an der südlichen kroatischen Adria wurde in Dalmatien der Notstand ausgerufen, wie das staatliche Fernsehen in Zagreb berichtete. In der größten Hafenstadt Split brach der Verkehr zusammen. Auf der Brücke zwischen der Hafenstadt Rijeka und der Insel Krk wurden Orkanböen von 205 Kilometern in der Stunde gemessen. In den Ländern rund um die Adria kämpften Soldaten gegen den Schnee.

Die stärksten Schneefälle seit Jahrzehnten lösten in Rom ein Verkehrschaos aus. Busse kamen laut Medienberichten nicht voran, Rettungskräfte kamen zu spät. „Rom geschlossen wegen Schneefalls“, schrieb „Il Messaggero“ über das Verkehrschaos vom Vorabend. Bürgermeister Gianni Alemanno wies Kritik wegen mangelnder Vorbereitung zurück: So stark habe es zuletzt 1985 in Rom geschneit.

In den Staaten Ost- und Südeuropas, die von der Extremkälte besonders betroffen sind, erlitten erneut Dutzende Menschen den Kältetod. In der Ukraine erfroren mindestens 21 Menschen. Die Zahl der Kältetoten stieg damit laut Regierung auf 122 in diesem Winter.

In Polen erfroren erneut sieben Menschen, wie das Innenministerium mitteilte. Damit stieg dort die Zahl der Kältetoten seit Beginn der Frostwelle auf 45. Hinzu kommen sechs Opfer, die an Kohlenmonoxidvergiftungen starben. In der Nacht zu Samstag kamen außerdem vier Obdachlose bei Bränden ums Leben.

In Rumänien erfroren laut Regierung binnen 24 Stunden weitere vier Menschen - seit Beginn des extremen Frosts vor einer Woche waren es damit 28. Aus Frankreich wurde am Samstag ein zweites Kälteopfer gemeldet. In Deutschland brachen zwei Schlittschuhläufer ins Eis ein - einer wurde tot geborgen, der andere wurde am Samstag noch vermisst.

Ein Fährschiff rammte im Schneesturm in Civitavecchia nordwestlich von Rom einen Hafendamm und wurde dabei schwer beschädigt. Das Schiff mit mehr als 300 Passagieren und Besatzung an Bord wurde evakuiert, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. In Belgien und der Schweiz war der Bahnverkehr gestört; auf dem Londoner Flughafen Heathrow sollte am Sonntag jeder dritte Flug ausfallen.

In Nordafrika fiel in höheren Lagen der algerischen Hauptstadt Algier in der Nacht zum Samstag erstmals seit Jahren wieder richtig Schnee. Zahlreiche Kinder, die noch nie weiße Flocken gesehen hatten, stürzten sich nach Augenzeugenberichten begeistert nach draußen.