„Wir amüsieren uns zu Tode“: Gülke warnt vor „Erosion“
München (dpa) - Der neue Siemens-Musikpreisträger Peter Gülke (80) hat die Preisverleihung zu einem dringenden Appell für den Fortbestand der klassischen Musikkultur genutzt.
In seiner Dankesrede im Münchner Cuvilliéstheater am Samstagabend warnte er vor einer „gefährlichen Erosion“ im kulturellen Leben. Das „Quotendenken“ sei mittlerweile nicht nur in den Medien, sondern auch „in die Gehirne“ eingezogen. „Wir amüsieren uns zu Tode.“
Als Beispiele nannte der Dirigent, Musikwissenschaftler und Musikschriftsteller die geplante Verbannung des Radioprogramms Bayern Klassik von seiner angestammten UKW-Frequenz auf rein digitalen Empfang, die bereits beschlossene Fusion der beiden traditionsreichen Konzertorchester des Südwestrundfunks (SWR) sowie Stellenstreichungen bei Orchestermusikern in Sachsen. Gegen die Vorhaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gibt es Widerstand.
Zuvor hatte auch der Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Michael Krüger, den Wellentausch für das letzte reine Klassik-Radioprogramm in Deutschland als „existentielle Frage“ bezeichnet. „Hoffen wir, dass der Rundfunkrat (des Bayerischen Rundfunks) nicht angepasst ist und sich dem permanenten kulturellen Abbau zugunsten von Popsendern widersetzt“, sagte Krüger unter Beifall.
In seiner Laudatio nannte Krüger den neuen Träger des Ernst von Siemens Musikpreises, Gülke, einen „unzeitgemäßen homo universalis“. Er sei nicht nur eine prägende Persönlichkeit, der musikalischen Literatur im deutschsprachigen Raum und ein renommierter Musikwissenschaftler mit universaler Bildung, sondern auch ein herausragender Dirigent. In seiner Person gingen Theorie und Praxis eine einzigartige Verbindung ein.
Gülke stammt aus Weimar, wo er unter anderem als Generalmusikdirektor wirkte. 1983 floh er aus der DDR und war von 1986 bis 1996 Generalmusikdirektor in Wuppertal. Er schrieb zahlreiche musikwissenschaftliche Bücher und lehrte Dirigieren an der Musikhochschule in Freiburg.
Der Hauptpreis der Siemens-Musikstiftung, den mancher als „Nobelpreis der Musik“ bezeichnet, ist mit 250 000 Euro dotiert. Zu den bisherigen Preisträgern gehörten die Komponisten Benjamin Britten und Karlheinz Stockhausen, die Dirigenten Mariss Jansons und Herbert von Karajan, der Sänger Peter Schreier sowie die Geigerin Anne-Sophie Mutter.
Neben dem Hauptpreis vergab die Stiftung drei mit jeweils 35 000 Euro dotierte Förderpreise für Nachwuchskomponisten. Sie gingen an Brigitta Muntendorf aus Deutschland, den Katalanen Luis Codera Puzo und den Italiener Simone Movio.
Insgesamt vergab die Ernst von Siemens Musikstiftung in diesem Jahr Preis- und Fördergelder in Höhe von drei Millionen Euro, mit denen weltweit rund 150 Projekte der zeitgenössischen Musik unterstützt werden.