Darwin – der ewige Provokateur
Vor 150 Jahren machte der britische Naturforscher Gott den Schöpfungsakt streitig: Leben entwickelte sich schrittweise aus ersten Zellen, die Arten verändern sich.
Düsseldorf. Der Silberrücken hat eine Decke bei sich. Wann immer der Gorilla im Wuppertaler Zoo die Position wechselt, schleppt er sie hinter sich her. Bevor er sich wieder setzt, zupft er das schmuddelige Ding an allen Enden ordentlich zurecht.
Ein großer Spaß ist das für die menschlichen Betrachter: Wie ähnlich der uns ist! Doch ersetzen wir "ähnlich" durch "verwandt", kommen wir ins Grübeln. Will ich mit dem verwandt sein? Wie kann der Mensch mit dem Affen verwandt sein, wenn er doch nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde?
Eben diese Verwandtschaft gibt es, behauptete Charles Darwin vor 150 Jahren. Seine Evolutionstheorie warf sicher geglaubte Wahrheiten über den Haufen. Einen ersten Stoß in diese Richtung hatte Kopernikus bereits 350 Jahre zuvor dem Weltbild seiner Zeitgenossen versetzt, als er die Erde aus dem Zentrum des Sonnensystems herausrückte.
Und nun kam dieser Darwin und rückte auch noch den Menschen aus dem Zentrum der Schöpfung. Mit einer ungeheuren Behauptung machte er Gott den Schöpfungsakt streitig: Da ist niemand, der die Kreaturen ein für allemal geschaffen hat.
Pflanzen, Tiere und auch der Mensch sind schrittweise in einem 3,8 Milliarden Jahre andauernden Prozess aus den ersten Zellen entstanden. Es gibt keine konstanten, von Anfang an existierenden Arten, sondern die Lebewesen stehen im Wettbewerb um Nahrung und Überleben.
Wer sich am besten an die sich verändernde Umwelt - Klimawechsel, neue Konkurrenten - anpasst, der bekommt mehr Nachkommen. Die schlechter Angepassten sterben aus.
Das funktioniert so: Erbinformation wird an die Nachkommen weitergegeben, der Nachwuchs ähnelt den Eltern. Grundsätzlich. Doch es gibt immer wieder zufällige Veränderungen im Erbgut, die einen Wandel ermöglichen. Passt dies gerade zu einer sich wandelnden Umwelt, setzen sich diese Nachkommen durch. Evolution ist eine Serie erfolgreicher Fehler.
Klingt gut. Doch kann etwa das Auge wirklich durch "Zufall" entstanden sein? Muss dieses Meisterwerk nicht doch von der Hand eines Schöpfers sein? Ein paar Jahre vor Darwin hatte der Theologe William Paley daran mit seinem Gleichnis von Gott als Uhrmacher keinen Zweifel gelassen: Würden wir auf einer Wiese eine Uhr finden, so müssten wir doch davon ausgehen, dass diese von einem Uhrmacher hergestellt wurde. Keine Uhr ohne Uhrmacher, kein Auge ohne Schöpfer, so seine These.
Über "das perfekte Auge" spottet der Genetiker Steve Jones heute so: "Warum brauchen wir dann Brillen, Ferngläser und Mikroskope?" Das Auge sei gerade Beleg für die Anpassung an die jeweiligen Umweltanforderungen. Insekten nehmen Blüten anders wahr als Menschen, im Vergleich zu Vögeln ist unsere Sehkraft miserabel.
"Das Auge begann in der Evolution als ein Fleck auf der Haut", so Jones, "der sich später zu einer Vertiefung, dann zu einer primitiven Lochkamera umformte." Die Evolution arbeitete Milliarden Jahre an dieser Idee - und entwickelte das Auge entsprechend weiter.
Darwin ersetzte die von Gott gemachte Harmonie durch einen seelenlos ablaufenden Mechanismus. "Survival of the fittest": Der am besten Angepasste überlebt. Ein Gedanke, den die Nazis nur zu gern aufgriffen und daraus ein Überleben des Stärksten machten. Sie meinten, sich für ihren Rassismus auf ein naturgesetzliches Fundament stützen zu können.
Doch der Sozialdarwinismus, das Übertragen von Darwins Idee auf die menschliche Gesellschaft, übersieht, dass der Mensch mit Hilfe seiner geistigen Potenziale auf die biologische Evolution längst noch eins draufgesattelt hat: die kulturelle Evolution.
Durch Gebrauch von Werkzeugen und Technik erhöht er die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel. Medizin, Arbeitsteilung und Informationsweitergabe verändern den Überlebenskampf. "Unsere Evolution hat auch zu unserer Kulturfähigkeit geführt", sagt Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard und nimmt auch Darwin vor Fehlinterpretationen in Schutz: "Er hat keine Aussagen über die menschliche Kultur gemacht."
Fortschritt durch Kooperation macht gerade die menschliche Kultur aus. Das werden auch die Kirchen unterschreiben. Doch so weit wie die Anglikanische Kirche, die sich posthum bei Darwin für die einstige scharfe Ablehnung seiner Theorie entschuldigte, geht der Vatikan noch lange nicht.
Zwar gestand Papst Johannes Paul II. 1996 zu, dass "in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen ist". Gleichzeitig mahnte er, der Mensch sei "auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur".
Reines Wunschdenken - sagt dazu der Evolutionsbiologe Richard Dawkins. Er sieht keinen Platz für einen Gott, wenn dieser den Menschen weder in seinen Einzelteilen (Beispiel: Auge) noch in seiner Gesamtheit erschaffen hat.
Für diejenigen, die an Gott glauben und dennoch nicht die Augen vor den Erkenntnissen der Wissenschaft verschließen mögen, bleibt nur ein Ausweg: die Evolution als Beweis für die Weitsicht Gottes zu sehen. Eines Gottes, der sich bei der Schaffung des Lebens gleich eine mit eingebaute Entwicklungsmöglichkeit ausgedacht hat - eben um "seinen Kreaturen" die Chance zu geben, sich an veränderte Lebensumstände anzupassen.
So muss Gott nicht immer neu den Schöpfer spielen, sondern kann sich ums Grundsätzliche kümmern. Um das erstaunliche Universum, in dem die Erde freilich nicht der Mittelpunkt ist. Eine Erde, auf der es viele Verwandte mit gemeinsamen Vorfahren gibt. Gorillas und Menschen zum Beispiel.