Deutscher erhält Chemie-Nobelpreis für Supermikroskop
Stockholm (dpa) - Deutschland in Nobel-Laune: Der Preisträger Stefan Hell kommt aus Göttingen. Ein zweiter aus den USA hat deutsche Wurzeln. Der Chemie-Nobelpreis ehrt drei Wissenschaftler, die eine neue Sicht auf das Leben ermöglicht haben.
Für den Bau eines Supermikroskops erhalten Hell und zwei US-Amerikaner den Chemie-Nobelpreis. Damit lasse sich etwa beobachten, wie sich Eiweiße bei der Entstehung von Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zusammenlagern, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit. Die Technik von Hell sowie von den Amerikanern Eric Betzig und William Moerner ermögliche es, die „innersten Geheimnisse des Lebens abzubilden“.
Die drei Forscher erhalten den Preis für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie. Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist mit umgerechnet rund 880 000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Hell erhielt erst vor einem Monat mit zwei anderen Forschern den mit ungerechnet insgesamt rund 800 000 Euro dotierten Kavli-Preis.
„Ich bin überwältigt. Das ist eine tolle Sache“, sagte der 51-Jährige der Nachrichtenagentur dpa nach Bekanntgabe der Nobelpreisträger. Im ersten Moment habe er gedacht, der Anruf der Nobel-Jury sei ein Scherz. „Aber ich habe die Stimme des Komiteevorsitzenden erkannt. Und dann habe ich langsam realisiert, dass es kein Scherz ist, dass es tatsächlich die Wahrheit ist.“ Als erstes habe er seine Frau angerufen.
Die ersten Theorien Hells habe anfangs in Deutschland niemand geglaubt, sagte Astrid Gräslund vom Stockholmer Nobel-Komitee. „Deshalb hat er in Deutschland keinen Job bekommen, und ging nach Turku, Finnland. Dort war man sehr glücklich, ihn zu haben, und gab ihm die Zeit und Gelegenheit, seine Ideen zu entwickeln - zunächst in der Theorie“, ergänzte Gräslund. „Da hat es anderen langsam gedämmert, dass er an etwas dran sein könnte. (...) Jetzt findet man seine Mikroskope auf der ganzen Welt.“
Derzeit forscht Hell am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen vor allem daran, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Zudem arbeitet er am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ).
„Hell ist sicher einer der brillanten Köpfe bei uns“, sagte der DKFZ-Vorstandsvorsitzende Otmar Wiestler. Nun können man zusehen, wie Krebszellen untereinander und mit gesunden Zellen kommunizieren. Zudem lasse sich die Wechselwirkung zwischen Viren und Zellen im Körper auf einer Ebene untersuchen, die bislang an lebenden Zellen undenkbar gewesen sei. „Hell ist jemand, der absolut über Grenzen geht und der auch Grenzen sprengt.“
Der Forscher stimuliert in seinem Mikroskop winzige Untersuchungsobjekte mit Hilfe von Laserstrahlen zur Fluoreszenz - sie leuchten dann selbst. Zugleich sorgt er dafür, dass die Umgebung des gewünschten Objektes verdunkelt wird.
Die beiden US-Wissenschaftler entwickelten unabhängig davon eine ähnliche Technik. Moerner untersucht damit die Erbkrankheit Chorea Huntington, die zu starken Bewegungsstörungen bis hin zum Tod führt. Betzig blickt auf Zellteilungen in Embryonen.
„Die Arbeit der Preisträger hat es möglich gemacht, molekulare Prozesse in Realzeit zu verfolgen“, sagte Sven Lidin, der Vorsitzende des Nobel-Komitees für Chemie. Nun könne man auch sehen, wie sich krankmachende Eiweiße zusammenlagern. „Dies hat uns sogar die strukturellen dynamischen Veränderungen von Neuronen im Gehirn gezeigt, die während Lernprozessen stattfinden.“
Lange Zeit war die Auflösung der Lichtmikroskopie auf natürliche Weise begrenzt. Sie konnte keine Strukturen abbilden, die kleiner waren als die Hälfte einer Wellenlänge des Lichtes - das sind 200 Nanometer und damit etwa die doppelte Größe von Viren. Diese Grenze wurde durch die neue Technik gesprengt.
Glücklich und überrascht reagierte der US-Amerikaner Betzig, der deutsche Wurzeln hat und sich gerade in München aufhält, auf die Verkündung des Preises: „Ich gucke seit einer halben Stunde auf meinen Computer, aber könnte genau so gut ins Nichts gucken. Ich bin wie gelähmt“, sagte der 54-Jährige.
Feiern will Betzig auf bayerische Art. „Wir gehen in einen Biergarten“, sagte er im Münchner Helmholtz-Zentrum in Oberschleißheim, wo er zu einem Vortrag eingeladen war. Erst einmal wurde er aber mit Champagner begrüßt.
Von der hohen Auszeichnung habe er nur über Umwege erfahren. „Das Komitee hatte nur eine sehr alte Nummer von mir, darum haben sie bei meiner Ex-Frau angerufen“, sagte er. Sein Sohn habe die frohe Botschaft dann entgegen genommen.
„50 Prozent Freude und 50 Prozent Angst“ habe der Nobelpreis bei ihm ausgelöst. „Ich mochte mein Leben, wie es bislang war“, sagte Betzig. Er habe Sorge vor Veränderungen, die nun möglicherweise auf ihn zukommen. „Eigentlich hatte ich auch so schon genug zu tun.“
Die Nobelpreise werden traditionsgemäß am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.