Die Unverwüstlichen: Pflanzen aus der Eiszeit wachsen wieder

Washington (dpa) — Moospflanzen können einen jahrhundertelangen Schlaf unter einer dicken Schicht Gletschereis fast unbeschadet überstehen. Kanadische Forscher haben festgestellt, dass die Pflanzen wieder zu wachsen beginnen, wenn sie durch den Rückzug des Gletschers ans Tageslicht kommen.

Die Wissenschaftler zogen die Pflanzen dann auch im Labor heran. Die Moose verfügten über sehr widerstands- und wandlungsfähige Zellen, aus denen neue Pflanzen hervorgehen können, schreiben die Forscher in den „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften.

Catherine La Farge und ihre Mitarbeiter von der Universität von Alberta (Edmonton/Kanada) hatten die Flora am Sverdrup Pass auf der Ellesmere-Insel des kanadisch-arktischen Archipels untersucht. Der dortige Teardrop-Gletscher hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts erheblich zurückgezogen; seit 2004 ist die Rückzugsgeschwindigkeit noch einmal stark angestiegen. Den Forschern fiel zunächst auf, dass die Moospflanzen (Bryophytha), die unter der weichenden Eisschicht zum Vorschein kamen, erstaunlich unversehrt aussahen. Sie schienen sogar neue grüne Äste oder Stämme zu bilden, also wieder zu wachsen. Bisher hatten Forscher angenommen, die unter einem Gletscher hervorkommenden Moose seien tot.

Um das genauer zu prüfen, bestimmten die Forscher zunächst das Alter der Moospflanzen. Tatsächlich zeigte die Radiokarbonmessung, dass die Pflanzen vor gut 400 Jahren im Eis eingeschlossen worden waren. Damals herrschte auf der Erde eine kleine Eiszeit, sie dauerte vom 15. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Als nächstes nahmen sie kleine Pflanzenstücke und versuchten, diese im Labor zum Wachsen zu bringen. Das klappte erstaunlich gut: Aus sieben Proben zogen sie elf Kulturen heran, die vier verschiedene Laubmoose umfassten: ein Streifensternmoos (Aulacomnium turgidum), das Berg-Zweizeilmoos (Distichium capillaceum), das Dach-Drehzahnmoos (Syntrichia ruralis) sowie die Art Encalypta procera.

Moospflanzen besäßen eine bemerkenswerte biologische Widerstandfähigkeit. Dies gehe unter anderem darauf zurück, dass sie Zellen besitzen, die sich in undifferenzierte Zellen verwandeln können, schreiben die Forscher. Aus diesen können dann ähnlich wie aus den Stammzellen bei Menschen oder Tieren viele verschiedene Gewebe der Pflanze hervorgehen. Außerdem können die Moospflanzen ihren Wassergehalt nicht kontrollieren. Sie überstehen lange Trockenperioden und fangen dann unter günstigen Bedingungen wieder an zu wachsen. Nach Angaben der Wissenschaftler zeigt ihre Untersuchung, dass diese Eigenschaften der Moospflanzen auch über Jahrhunderte und unter extremen Bedingungen erhalten bleiben.