Forscher liefern Perspektiven gegen Quallen-Plagen

Kiel (dpa) - Millionen Quallen verleiden Badenden fast jeden Sommer das Meer. Jetzt haben Wissenschaftler - maßgeblich aus Kiel - den rätselhaften Lebenszyklus von Quallen entschlüsselt. Und damit eine Theorie ermöglicht, wie sich Quallen-Plagen verhindern lassen könnten.

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Die oft explosionsartige Vermehrung von Quallen auch in Nord- und Ostsee könnte sich nach neuen Erkenntnissen eindämmen lassen. „Der komplexe Lebenszyklus der sogenannten Ohrenqualle Aurelia aurita und die dahinter liegenden Mechanismen sind jetzt entschlüsselt worden“, sagte Prof. Thomas Bosch, Direktor am Zoologischen Institut der Uni Kiel und Leiter des interdisziplinären Forschungszentrums „Kiel Life Science“. Die Jahrhunderte alte Frage nach einer biologischen Grundlage der Umwandlung sei in einem internationalen Forschungsprojekt - unter maßgeblicher Beteiligung Kieler Wissenschaftler - geklärt worden. Er warnt jedoch davor, mit drastischen Mitteln in die Vermehrung einzugreifen.

Ihre Studie stellen die Forscher im US-Fachjournal „Current Biology“ vor. Die Ohrenqualle ist in Nord- und Ostsee sowie im Atlantik verbreitet. Sie ist handtellergroß und nicht giftig, wächst im Frühjahr heran und stirbt jeweils im Winter.

Bosch erläuterte den bereits bekannten Lebenszyklus, bei dem sich Polypen in Quallen verwandeln: Aus einer Eizelle bildet sich zunächst eine Larve und daraus ein Polyp. Der Polyp ist festsitzend (etwa an Schleusentoren), er frisst und kann sich nicht fortbewegen. Und dieser kleine Polyp beschließt temperaturabhängig gegen Ende des Winters, dass aus ihm Quallen entstehen. Aus seinem Körper sondert er kleine Ringe ab, aus denen Quallen werden. Sie wachsen über Frühjahr, Sommer und Herbst heran, produzieren Geschlechtszellen und sterben dann. Der Kreislauf beginnt erneut: Aus befruchteten Eizellen entstehen Larven und daraus ungeschlechtliche Polypen. Diese können sich ungeschlechtlich fortpflanzen.

„Um aber eine Lebensform zu produzieren, die Geschlechtszellen herstellt und die beweglich ist, sich also in die Meere der Erde verbreiten kann, muss der Polyp einen Umwandlungsprozess durchgehen - es ist wie eine Metamorphose“, erläuterte Bosch. Nun habe ein interdisziplinäres Team die molekulare Maschinerie analysiert, die den Übergang vom Polypen zur Qualle reguliere.

Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Projekts sei das von der Umgebungstemperatur abhängige Molekül CL 390 entdeckt worden, das auch bei der Metamorphose anderer Tiere eine Rolle spiele. „Erst wenn die Temperatur stimmt, wird dieses Molekül gemacht - es muss im Winter sehr kalt und dann wieder warm werden.“ Wenn das Molekül CL 390 aktiviert sei und ein bestimmtes Membranmolekül existiere, fange der Polyp an, aus sich heraus Quallen hervorgehen zu lassen.

„Wenn man dieses Molekül CL 390 - rein theoretisch - ausschalten könnte, dann würde es nicht mehr die Qualle Aurelia aurita geben“, sagte Bosch. „Die Idee geht dahin, ein synthetisches Molekül zu produzieren, das dieses CL 390 blockiert.“ Die Möglichkeit, chemische Blockierer anzuwenden, könnte nach dieser Studie ein Weg sein, die massenhafte Neubildung von Quallen gering zu halten, resümierte Bosch. Noch gebe es solche synthetischen Moleküle nicht.

Der Wissenschaftler betonte jedoch, solch massive Eingriffe in Lebensräume seien aus Sicht eines Biologen nicht gewollt und höchst riskant. Eine Art Impfung der Ostsee mit solchen Molekülen - wenn es sie denn eines Tages geben sollte - käme für ihn nicht infrage. „Das hätte biologisch nicht vorhersehbare Konsequenzen.“ Bei der Studie habe die Klärung der Lebenszyklen im Mittelpunkt gestanden, nicht die Bekämpfung von Quallen.

Im Fachjournal heißt es zum Schluss, das neue Wissen dürfte zur Entwicklung von wirkungsvollen Substanzen führen, die zur Kontrolle von Quallen-Blüten verwendet werden könnten. In einer ergänzenden Pressemitteilung betonte Konstantin Khalturin, der die Studie in Kiel maßgeblich konzipierte und jetzt am Okinawa Institute of Science and Technology arbeitet, ähnliche Strategien seien in vergangenen Jahrzehnten zur Bekämpfung von Malaria und Pflanzenschädlingen verwendet worden. Es sei jedoch absolut notwendig, einen sicheren Gebrauch zu gewährleisten.