Halligalli auf den Wiesen Heuschrecken-Konzert: Orchester wird vielfältiger
Aachen (dpa) - Das durchwachsene Wetter der letzten Wochen hat den Heuschrecken nicht viel ausgemacht. Der Nachwuchs war da schon aus dem Gröbsten raus und erwachsene Tiere kommen auch mit schlechterem Wetter zurecht, wie der Heuschrecken-Experte Professor Thomas Fartmann von der Uni Osnabrück sagt.
Jetzt rattert, zirpt, schwirrt und singt es. „Es ist Halligalli auf den Wiesen“, stellt er fest.
Das Liebeswerben der Heuschrecken-Männchen löst bei vielen Menschen das ultimative Sommerfeeling aus - eine Erinnerung an frisch gemähte Wiesen, an den Duft von Heu und den Gesang der Grillen. Was romantisch klingt, ist für die Tiere knallharter Konkurrenzkampf - um die Weibchen. Die Larven der nächsten Generation schlüpfen dann bei den meisten Arten nach der Winterruhe im Frühjahr.
„Wer am lautesten und am kräftigsten singt, zeigt dem Weibchen: Der ist gut. Junggeselle mit Eigenheim sag ich immer“, sagt der Insektenexperte vom Naturschutzbund Werner Schulze augenzwinkernd. Tatsächlich hätten gute Sänger nachgewiesener Maßen bei den Weibchen die besseren Karten.
Um bessere Chancen zu haben, sucht sich die mit etwa fünf Zentimetern größte Heuschrecke in Deutschland, das Große Grüne Heupferd, einen exponierten Platz: Sie fliegt zum Singen in die Bäume. „Die geht in die Bäume rein, weil sich der Gesang dadurch besser verbreitet“, erklärt Fartmann, der Vorsitzender der Gesellschaft für Heuschreckenkunde (DGfO/ Deutsche Gesellschaft für Orthopterologie) ist.
Am Paarungswillen der Tiere liegt es jedenfalls nicht, dass der Ökologe an der Universität Osnabrück zu der recht ernüchternden Aussage kommt: „Das Orchester wird vielfältiger, aber es gibt weniger Musiker.“ Der Lebensraum der Tiere schrumpfe dramatisch, wie eine Studie im Münsterland gezeigt habe. „In den letzten 20 Jahren hat die Grünlandfläche im Münsterland, die von Heuschrecken besiedelt werden kann, um 25 Prozent abgenommen“, sagt Fartmann. Wegen der Energiewende werde viel Grünland umgebrochen, für den Anbau von Mais.
Und noch einen Grund sieht der Nabu-Experte Werner Schulze: Es wird zu viel gedüngt. Dadurch würden Wiesen beispielsweise für die bekannte Feldgrille - das ist die mit dem berühmten „Zirp“ - unbewohnbar: Das dichte Einheitsgrün beschattet die Böden. Sie sind zu kalt für den wärmeliebenden Hüpfer, wie Schulze sagt. Und wenn alle drei Wochen der Mäher über das Wiesenland rauscht, würde das eh keine Heuschrecke überleben.
Die Feldgrille etwa braucht offene sonnige Landschaften. Sie kann auch nicht einfach wegfliegen, wenn sich der Lebensraum plötzlich ändert: Sie müsste schon weglaufen, da sie nicht fliegen kann. Und das ist äußerst gefährlich, nicht zuletzt wegen Straßen und Fressfeinden. „Die heterogenen Flächen schrumpfen und schrumpfen, Populationen werden kleiner und kleiner - und irgendwann stirbt die Art aus“, sagt Heuschrecken-Experte Fartmann mit Blick auf den Warzenbeißer, der vergleichbare Probleme wie die Feldgrille hat. In Deutschland leben nur 80 Heuschreckenarten.
Auf der anderen Seite gibt es wärmeliebende Arten, die sich nach Norden ausgebreitet haben und in Deutschland vorkommen, wie die Italienische Schönschrecke oder die Gemeine Sichelschrecke. Sie profitieren vom Klimawandel. Früher kannte Werner Schulze die Gemeine Sichelschrecke nur aus Norditalien. „Inzwischen ist die nächste fünf Kilometer von meinem Haus in Bielefeld“, sagt der Insektenexperte.
Dieser Trend wird in den nächsten Jahren anhalten, meint Fartmann von der Deutschen Gesellschaft für Heuschreckenkunde: „Deutschland wird artenreicher, was die Heuschrecken angeht. Es werden wahrscheinlich auch in den nächsten 5, 10, 20 Jahren weitere Arten nach Deutschland einwandern und sich nach Norden ausbreiten.“ Trotzdem: Die Heuschrecken werden seltener.