Keim-Kontakt schützt vor Autoimmunkrankheiten
Boston/München/Kiel (dpa) - Früher Kontakt zu Keimen reguliert bei Mäusen Immunzellen und kann die Tiere vor Krankheiten wie Asthma oder entzündlichen Darmerkrankungen schützen. Ein Team aus deutschen und US-Forschern berichtet darüber im Fachjournal „Science“.
Die Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass die Zunahme dieser Autoimmunkrankheiten auf das Konto einer möglichst keimfrei gehaltenen Umgebung bei Säuglingen geht. An der Studie waren Wissenschaftler der Universitätskliniken München und Kiel sowie der Harvard Medical School in Boston (USA) beteiligt. Sie betonen, dass noch erforscht werden muss, ob diese Ergebnisse auch wirklich für den Menschen gelten.
Das Team um Torsten Olszak (jetzt Ludwig-Maximilians-Universität München) und Richard Blumberg (Boston) verglich für die Versuche normale Labormäuse mit besonders keimfrei gehaltenen Mäusen. „Deren Haltung ist aufwendig, sie leben in extra abgeschotteten Plastikbehältern und erhalten speziell aufbereitetes Futter“, sagte Olszak der Nachrichtenagentur dpa. „Es zeigte sich, dass die keimfreien Mäuse besonders viele natürliche Killer-T-Zellen in der Lunge und im Darm haben, die nach Aktivierung eine Reihe von Botenstoffen ausschütten, die bei Autoimmunkrankheiten und Entzündungen eine Rolle spielen.“
Die keimfreien Mäuse waren im Vergleich zu den anderen Labormäusen anfälliger für Asthma und eine der menschlichen Colitis ulcerosa verwandten Darmentzündung. Diese beruhen auf überschießenden Reaktionen des Immunsystems, und wurden von den Wissenschaftlern durch spezielle Stoffe provoziert.
„Die Frage war nun: Was kann man dagegen tun?“, sagte Olszak. Das Team setzte die keimfreien Mäuse im Alter von etwa acht Wochen in Käfige mit anderen Labormäusen, und hoffte, dass das Immunsystem sich anpassen würde. Die Mäuse gelten dann als erwachsen. Doch dies war nicht der Fall. „Dann setzten wir schwangere Mäuse aus der keimfreien Population in Käfige mit normalen Labormäusen, und ließen sie dort ihre Babys bekommen.“ Der Nachwuchs hatte also sofort Kontakt zu natürlich vorkommenden Keimen bei Mäusen, wenn auch nicht zu Krankheitserregern. „Wir konnten nachweisen, dass diese so geborenen Tiere eine normalisierte Anzahl von natürlichen Killer-T-Zellen hatten, und als Folge eine geringere Anfälligkeit für Asthma und oder die Darmerkrankung aufwiesen.“
In einem Begleitartikel in „Science“ betonen US-Wissenschaftler, wie stark die Studie die sogenannte Hygiene-Hypothese untermauert, und Beweise für etwas liefert, „dass wir seit Jahrzehnten beobachten, aber nicht verstanden haben“. So hatten Studien zuvor gezeigt, dass Asthma und Allergien bei Kindern, die auf Bauernhöfen aufwachsen und verstärkt Keimen ausgesetzt sind, seltener vorkommen als bei anderen Kindern. „Zur Bestürzung von Müttern überall: Die Idee, dass der Kontakt zu Mikroben gut für uns ist, unser Immunsystem ankurbelt und Überreaktionen wie Asthma und Autoimmunkrankheiten vorbeugt, ist ansteckend“, schreibt Mitch Leslie.
Auch Forscher aus Kiel waren beteiligt, unter anderem Prof. Andre Franke von der Christian-Albrechts-Universität. „Wir wollten herausfinden, wie sich die erwachsene, keimfreie Maus "merken" kann, dass keine Bakterien zu Beginn des Lebens da waren.“ Franke und Kollegen beobachteten, dass die Informationen darüber nicht über direkte Genveränderungen weiter gegeben werden, aber dass sich die Aktivität dieser Gene ändern kann. „Wir konnten also erklären, warum ein Protein des Immunsystems bei den keimfreien Mäusen häufiger vorkommt“, sagte Franke der dpa. Blumberg und Kollegen wollen nun herausfinden, welche Bakterien sich als besonders schützend erweisen - denn jeder Mensch trägt Milliarden davon in sich, vor allem im Darm.