Magen-Darm-Operationen als Hilfe für Diabetiker?
Hamburg (dpa) - Magen-Darm-Operationen als Therapie für Diabetes-Patienten? Seit sich nach Operationen bei Fettleibigen herausgestellt hat, dass sie nicht nur abnehmen, sondern teils auch bessere Blutzuckerwerte haben, gehen Mediziner dieser Frage nach.
Wenn bei einem fettleibigen Menschen Begleiterkrankungen hinzukommen und alle anderen Maßnahmen zum Abnehmen nicht fruchten, ziehen Mediziner oftmals eine Operation in Erwägung. Der häufigste Eingriff der Chirurgen bei extrem Dicken in Deutschland ist laut Prof. Rudolf Weiner (Krankenhaus Sachsenhausen) ein Magen-Bypass. Dabei wird der Magen in zwei Teile geteilt und der obere Teil des Dünndarms stillgelegt. Jeweils ein Teil des Dünndarms und des Magens sind so von der Nahrungspassage und der Nährstoffaufnahme ausgeklammert.
„Bei diesen Operationen ist aufgefallen, dass die Patienten nicht nur hinterher an Gewicht abnehmen, sondern dass sich auch ihr Blutzuckerspiegel innerhalb weniger Tage verbessert“, sagt Prof. Dirk Müller-Wieland, Endokrinologe von der Asklepios Klinik St. Georg am Mittwoch bei einem Kongress in Hamburg. Zwar sei bekannt, dass weniger Gewicht auch ohne solche Operation zu besseren Blutzuckerwerten führe. „Doch der Magen-Darm-Trakt produziert offenbar noch mehr Hormone als bekannt, die neben Insulin auf den Zuckerstoffwechsel wirken.“
In Tierversuchen bei Ratten zeigte sich demnach, dass sich auch bei ihnen der Zuckerstoffwechsel verbesserte, wenn der obere Dünndarm entfernt wurde, aber auch, wenn eine Art Rohr in diesem Teil des Darms verhindere, dass die Nahrung in Kontakt mit der Darmwand kommt. „Drei Fragen gibt es nun: Welche OP-Verfahren eignen sich für solche Eingriffe, welche Mechanismen und welche Hormonwirkungen liegen der Verbesserung des Blutzuckers zugrunde, und wie gehen wir mit Diabetes-Patienten um, die nicht an Übergewicht leiden? Sollten diese auch operiert werden? Dafür brauchen wir klinische Studien, und klare medizinische Indikationen.“ Studien sind laut Weiner in den USA und Europa in Gang gebracht, auch die Universität Heidelberg plant eine solche.
„Es gibt verschiedene Hypothesen für die Wirkung der Operationen auf den Blutzucker, aber der Beweis muss noch geführt werden“, sagt Prof. Matthias Blüher von der Universität Leipzig. Neben Hormonen des Verdauungssystems spielen demnach auch die Leber und die hormonelle Aktivität des Fettgewebes eine Rolle. Zudem werde das Hormon Ghrelin im Magen durch den Eingriff beeinflusst, das den Appetit stimuliert. In Deutschland gibt es laut Blüher „überraschend viele Skeptiker“ der operativen Verfahren.
Zu den Nebenwirkungen eines Magen-Bypasses gehört, dass die Patienten nur noch kleinere Portionen fester Nahrung als zuvor essen können. Auch droht einem Teil von ihnen eine Unterzuckerung nach dem Genuss von zuckerhaltigen Lebensmitteln. Darüber hinaus müssen sie dauerhaft Mineralstoff- und Vitaminpräparate einnehmen - und sollten laut den Experten lebenslang ihren Lebensstil ändern.
Weitere Verfahren aus der Adipostas-Chirurgie sind das Magenband und der Schlauchmagen. Das Band wird um den oberen Teil des Magens gelegt, so dass weniger Nahrung aus einmal gegessen werden kann. Bein Schlauchmagen wurde ein Teil des Organs ganz entfernt. Auch über Elektroden im Magen oder flexible Schläuche im Magen-Darm-System versuchen die Mediziner, Diabetes-Patienten zu helfen.
Seit 1987 wurden in einer schwedischen Langzeitstudie mehr als 4000 fettleibige Patienten beobachtet, die eine Hälfte wurde mit einer von drei verschiedenen Operationen behandelt, die andere Hälfte sollte Sport treiben und ihre Ernährung umstellen. Nach zehn Jahren hatten die operierten Patienten im Schnitt 19,2 Kilogramm verloren, die anderen hatten durchschnittlich 1,3 Kilogramm zugelegt. Zwar nahmen die operierten Patienten in den folgenden zehn Jahren wieder zu, lagen aber in der Regel immer noch unter dem Ausgangsgewicht vor der Operation.
Auch die Abhängigkeit vom künstlichen Insulin stieg wieder: Zwei Jahre nach der Operation konnten mehr als 70 Prozent der insulinpflichtigen Diabetespatienten auf Insulin verzichten. Nach zehn Jahren musste die Hälfte dieser Patienten wieder Insulin nehmen. Aktuelle Daten der schwedischen Langzeitstudie sollen laut Studienleiter Lars Sjöström aus Göteborg noch in diesem Jahr publiziert werden.