Medizin-Nobelpreis: Wie Schmetterlinge im Bauch entstehen
Forscher sind der Logistik von menschlichen Zellen auf der Spur, die Hormone und Enzyme weiterleiten.
Stockholm. Wie ein Sortierzentrum der Post, nur vielfach komplexer: Jede einzelne Zelle eines Lebewesens muss ständig eine Flut von Stoffen zum richtigen Empfänger bringen. Energie muss angeliefert, wichtige Proteine verfrachtet, Müll abgestoßen werden. Fehler im Ablauf sind Ursache verschiedener Erbkrankheiten, immunologischer Störungen und Stoffwechselleiden wie Diabetes.
Der gebürtige Deutsche Thomas Südhof sowie die US-Amerikaner Randy Schekman und James Rothman haben erforscht, wie Moleküle in kleinen Paketen, sogenannten Vesikeln, zur richtigen Zeit an den richtigen Platz gelangen — und bekommen dafür jetzt den Nobelpreis für Medizin.
Ein Mensch besteht aus zehn bis hundert Billionen Zellen, die Tausende verschiedene Aufgaben haben — das Wirken einer Nierenzelle ist mit dem einer Nervenzelle oder eines Blutkörperchens kaum zu vergleichen.
Zudem haben die Zellen im Schnitt nur etwa 40 tausendstel Millimeter Durchmesser. Es scheint unfassbar, dass der Transport von Stoffen in diesem absurd komplexen System überhaupt funktioniert — und das auch noch mit hoher Präzision.
Hormone werden ausgeschüttet und lösen gezielt Reaktionen aus — Vasopressin und Oxytocin zum Beispiel die Schmetterlinge im Bauch von Verliebten. Enzyme spalten Nährstoffe in gut verwertbare Häppchen oder legen Gifte lahm. Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin steuern im Hirn, ob ein Mensch bei bestimmten Sinneswahrnehmungen in Verzückung gerät.
Südhof erforschte, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren. Auch die Botenstoffe im Gehirn, die Neurotransmitter, werden über Vesikel weitergeleitet. Der gebürtige Deutsche identifizierte eine Reihe von Proteinen, über die der Prozess zeitlich hoch präzise abläuft.
Schekman machte verschiedene Gene aus, ohne die der Transport in Zellen im Chaos endet. Rothman klärte auf, dass kleine Membranbläschen unterschiedlichste Moleküle transportieren. „Die Arbeiten der drei Preisträger haben sich ergänzt“, sagt Franz-Ulrich Hartl, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie.
Etliche therapeutische Ansätze basieren auf der Arbeit der Forscher. Bei Diabetes ist die Steuerung der Insulin-Ausschüttung ein mögliches Ziel. Krebs-Mediziner erforschen die Bedeutung der Zell-Zell-Kommunikation für das Tumorwachstum. Zudem wird daran gearbeitet, Nanopartikel als künstliche Vesikel einzusetzen, um hochgiftige Krebs-Wirkstoffe gezielter nur am Tumor freizusetzen. Das könnte Chemotherapien deutlich verträglicher machen.