Schön versucht, schmerzhaft geirrt: Wenn Forschung schief geht

Iringa/Hannover (dpa)- Plötzlich ist da ein Löwe. Eben waren Trevor Jones und sein Assistent im tansanischen Wald noch Affen auf der Spur. Doch jetzt ist da der Löwe. „Es war entsetzlich“, erinnert sich Jones.

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„Da war ein Baum, und wir sind draufgeklettert.“ Zwei Männer. Auf einem jungen Baum.

Was dann passiert, beschreibt Jones im Online-Netzwerk Twitter unter dem Hashtag „fieldworkfail“. Feldforscher weltweit schicken so die Geschichten ihrer Missgeschicke ins Netz. Die Tweets sind witzig. Doch es steckt mehr dahinter.

Jones und sein Kollege schauen nicht genau hin, auf welchen Baum sie da auf ihrer Flucht vor dem Löwen klettern. Sie sind erleichtert, erst einmal. Dann merken sie: Es ist ein junger Baum. „Nur Sekunden später, zurück auf dem Boden“, schreibt Jones auf Twitter. Der Baum hat das Gewicht der Männer nicht getragen. Der Löwe erschrickt zum Glück auch.

Ein Misserfolg kann außerdem helfen, die Arbeit zu verbessern. Die Methode etwa, einen Funksender mit Sekundenkleber an einem Krokodil zu befestigen. Eintrag per #Fieldworkfail: Agata Staniewicz von der University of Bristol blieb selbst kleben.

Wissenschaft wird großenteils aus öffentlichen Mitteln bezahlt und braucht deshalb auch die Gunst der Bürger. Das wüssten inzwischen auch die Forscher, sagt Wissenschaftsphilosoph Torsten Wilholt von der Leibniz Universität in Hannover. „Deshalb wird Publicity in der Wissenschaft immer wichtiger.“

Auch Trevor Jones nutzt Twitter dafür. Der Biologe ist Direktor der Nichtregierungsorganisation „Southern Tanzania Elephant Program“, die sich für den Erhalt von Elefanten-Populationen in dem ostafrikanischen Land einsetzt. „Auf Twitter vermitteln wir Botschaften über Naturschutz“, erklärt er. Der erhobene Zeigefinger allein reißt die Öffentlichkeit allerdings nicht vom Hocker. „Es ist gut, ein bisschen albern sein zu können“, sagt Jones.

Die Twitter-Gemeinde jedenfalls sprang begierig auf #fieldworkfail an. Die Mini-Geschichten, die Feldforscher auf diese Weise der Öffentlichkeit erzählen, machen Wissenschaft persönlicher, privater. Die Menschen, die hier im Dreck waten, von Gifttieren gebissen oder gestochen werden und ihre Schuhe verlieren, liefern ein ganz anderes Bild von Forschung als steril wirkende Laborarbeiter in weißen Kitteln. Sie verschwinden nicht hinter Brillen und Masken, sondern setzten sich einer oft gefährlichen Umwelt aus - mit einer schier unglaublichen Leidenschaft fürs Schlammige, Haarige, Blutige.

„Wenn du mehr als eine Stunde bei 38 Grade in der Sonne eine Rhinozeros-Leichenschau machst - und zu keinem Ergebnis kommst“. Das ist eine von Carrie Cizauskas #fieldworkfail-Geschichten. Die Tiermedizinerin von der Berkeley University of California erforscht ansteckende Krankheiten wie Milzbrand - und macht sich dabei oft die Hände schmutzig. Wenn auch bisweilen unfreiwillig. Zum Beispiel, als 65 Fläschchen mit Elefantenblut-Proben in ihrem Koffer explodierten.

Cizauskas ist eine von den vielen Frauen, die den Hashtag nutzen. Ungefähr die Hälfte aller #fieldworkfail-Geschichten erzählen Frauen. Das entspricht der Veterinärin zufolge auch den tatsächlichen Geschlechterverhältnisse in der ökologischen Feldforschung, zumindest in den USA - und auf der Ebene der Doktoranden. Mit dem Klischee vom männlichen Abenteurer in der Wildnis bricht das Netz-Phänomen.

„Die Leute denken, nur ein Mann kann ein Krokodil niederringen“, sagt die Krokodil-Expertin Staniewicz, die relativ kleine Exemplare dieser Tiere untersucht. „Aber das stimmt nicht.“ Außerdem gehe es bei Feldforschung ohnehin meist eher um Geduld als um den Glamour des Kampfes mit der Kreatur.

Arwyn Edwards hat Ausdauer. Der Biologe von der walisischen Aberystwyth University befasst sich mit Schmelzlöchern in Gletschern. Intensiv und schon lange. „Verschwende ein Jahrzehnt deiner Jugend mit einer Obsession für Kryokonitlöcher. Werde dann von einem aus dem Hinterhalt überfallen. #fieldworkfail“, twittert er. Eigentlich weiß Edwards, wie man am Rand eines solchen Lochs steht. Trotzdem ist er in eines hineingerutscht. „Vor allem war mein Stolz verletzt“, sagt Edwards. Seine zwei Kollegen hatten ihren Spaß.

Feldforschung ist technisch oft anspruchsvoll - und häufig unter schwierigen Bedingungen zu erledigen. „Scheitern gehört da einfach dazu“, sagt Staniewicz, die Krokodil-Forscherin. Wissenschaft beruht ja schließlich auch auf Versuch und Irrtum. Und auch auf so manchem Missgeschick. Alexander Fleming ließ versehentlich einen Staphylokokken-Kultur schimmeln - und entdeckte so das Penizillin.

Dass nicht immer alles reibungslos funktioniert, liegt also in der Natur der Sache. Und in der des Menschen. Die Forscher schwitzen oder frieren, schlafen zu wenig und essen nicht genug. „Wir werden schon mal grantig“, erzählt der Gletscherloch-Kenner Edwards.

Dabei nehmen Feldforscher oft nicht nur die Unwägbarkeiten der freien Natur in Kauf. „Die Finanzierung ist ziemlich bedroht. Also verbringen wir so manche Nacht auf dem Boden eines Flughafen oder draußen, auch um Steuergelder zu sparen“, sagt Edwards.

Solche Härten, komisch erzählt, zeigen der Öffentlichkeit, wie weit Wissenschaftler für Antworten auf ihre Fragen gehen. „Entdeckungen fallen nicht vom Himmel“, sagt Wissenschaftsphilosoph Wilholt. Entdecker manchmal schon - zumindest von Bäumen.