Zeige- und Ringfingerlänge: Erbe der frühen Hormone
Washington (dpa) - Seit Jahren erforschen Wissenschaftler die Ursachen eines besonderen „kleinen Unterschieds“: Es geht um das Verhältnis der Längen von Zeige- und Ringfinger. Männer haben in der Regel längere Ring- als Zeigefinger - bei Frauen ist das meist umgekehrt.
Verantwortlich dafür ist wahrscheinlich das Gemisch männlicher oder weiblicher Hormone in einer kurzen Phase der Entwicklung des Embryos, berichten Forscher aus den USA in den „Proceedings“ der amerikanischen Akademie der Wissenschaften.
Martin Cohn und Zhengui Zheng von der Universität von Florida in Gainesville hatten Mäuse-Embryonen untersucht, da bei diesen sehr ähnliche Fingerlängen-Unterschiede auftreten wie beim Menschen. Sie fanden in den knospenden Fingern der Embryonen große Mengen an Rezeptoren für die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen. Hemmten die Forscher die Testosteron-Rezeptoren, so erhielten sie Mäuse mit einem weiblichen Fingerlängen-Verhältnis. Eine Zugabe von Testosteron oder Östrogen führte dagegen zu Mäusen mit stark ausgeprägten männlichen oder weiblichen Fingerlängen-Verhältnissen.
In früheren Studien hatten Forscher das Fingerlängen-Verhältnis beim Menschen in Verbindung gesetzt mit dem Verhalten, der Aggressivität, der sexuellen Orientierung, aber auch mit dem sportlichen Erfolg, der Musikalität und der Anfälligkeit gegenüber Krankheiten wie Depression, Autismus, Herzkrankheiten oder Brustkrebs. Selbst die Attraktivität für das andere Geschlecht oder der berufliche Erfolg wurde in Beziehung zum Fingerlängen-Verhältnis gebracht. Schon frühe Kulturen betrachteten einen proportional längeren Ringfinger beim Mann als Zeichen der Fruchtbarkeit.
Experten hatten lange vermutet, dass das Verhältnis der Fingerlängen ein Maß dafür ist, welchen Hormonen Menschen im Mutterleib ausgesetzt waren. Nun sei dies erstmals direkt im Experiment nachgewiesen worden, teilte die Universität mit.
Wissenschaftler drücken das Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger in der Formel „2D:4D“ aus. Dabei steht D für das englische „digit“ (Finger). Die Länge des Zeigefingers wird also durch die Länge des Ringfingers geteilt.
„Ich kämpfe schon seit 1998 darum, diese Zusammenhänge zu verstehen“, kommentierte John Manning von der britischen Swansea-Universität, der bereits mehrere Bücher über das Phänomen geschrieben hatte, die Ergebnisse. „Endlich haben sich einmal Entwicklungsbiologen und Genetiker dem Problem angenommen.“
Das Fingerlängen-Verhältnis sei ein bleibendes, gut ablesbares Zeichen der hormonellen Situation im Mutterleib, wenn die Fingerknospen sprießen und sich die knorpeligen Anfänge der Knochen bilden, berichteten die Forscher. Damit könnte sich dieses Merkmal unter anderem gut dazu eignen, den Zusammenhang zwischen dieser Phase und vielen Erkrankungen im Erwachsenen-Alter aufzuklären.