Wohnung bei Archiv-Einsturz verloren - Wut über Bau-Pfusch
Köln. Beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat MarcoSchönecker seine Wohnung verloren. Heute, ein Jahr später, empfindet ervor allem eines: Wut. „Denn ich habe das Gefühl, dass nicht genug getanwird, damit so was nicht noch mal passiert.“ Die jüngsten Berichte überden Pfusch beim U-Bahn-Bau, zu dem fast täglich neue Einzelheiten ansLicht kommen, machen den 38-Jährigen fassungslos: „Mir scheint, dassdas ökonomische Interesse nach wie vor höher gestellt wird als allesandere.“ Auch wenn die Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs noch nichtgeklärt ist: Ein Zusammenhang mit der geplanten neuen U-Bahn-Streckegilt als sicher - unmittelbar vor dem Archivgebäude in derSeverinstraße befand sich eine tiefe Baugrube.
„Mein Eindruck ist, dassman bei dem gesamten U-Bahn-Projekt völlig die Kontrolle über dieSicherheit verloren hat“, sagt der Berufsschullehrer.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil offenbar Bauprotokolle gefälschtund stabilisierende Eisenbügel nicht eingebaut worden sind. An derBaustelle Heumarkt in der Altstadt fehlen mehr als 80 Prozent dieserBügel. Die Grube soll nun bei Hochwasser geflutet werden, damit sienicht zusammenbricht. „Was muss das für ein Gefühl sein für dieMenschen, die da wohnen?“, meint Schönecker nachdenklich. Bei ihmselbst weckt das Ganze schlimme Erinnerungen an den 3. März 2009.
Der Lehrer war noch in der Schule, als er in einer Unterrichtspause denaufgeregten Anruf einer Nachbarin erhielt: Das Archiv sei eingestürzt,die Gebäude daneben kaputt - auch das Haus Nummer 232, in dem sichSchöneckers Dachgeschosswohnung befand. Schnell radelte er los und sahschon von weitem das Heer von Rettungsfahrzeugen.
In einem Zelt hatte die Stadt eine Anlaufstelle für Anwohnereingerichtet. „Nach und nach kamen immer mehr Nachbarn - aber es wartotal schlimm, weil wir nicht wussten, ob jemand bei dem Unglückgestorben war.“ Irgendwann waren alle Anwohner ausfindig gemacht - bisauf zwei junge Männer, die zum Zeitpunkt der Katastrophe zu Hausegewesen waren: Für sie kam jede Hilfe zu spät.
Nach einigen Tagen durften Schönecker und mehrere andere Nachbarn inBegleitung der Feuerwehr noch einmal in ihre Wohnungen, um wichtigeGegenstände herauszuholen. „Das war richtig unheimlich“, erinnert sichder 38-Jährige. Einige Möbelstücke und eine Reihe anderer Dinge konnteer aus der Wohnung retten. Einen Tag später wurde das Gebäudeabgerissen.
Nach dem Unglück habe er zunächst kaum schlafen können, berichtet er.„Ein Notfallseelsorger hat mir erklärt: Wenn jemand seine Wohnungverliert, weckt das Existenzängste.“ So sei das wohl auch bei ihmgewesen. Nach etwa zwei Wochen ging es ihm aber langsam besser. Schonam Tag nach dem Einsturz war er wieder zur Arbeit gegangen. Derberufliche Alltag und viele Gespräche mit Freunden und Kollegen hättenihm bei der Verarbeitung des Unglücks geholfen, sagt Schönecker.
Heute wohnt er weit weg von der U-Bahn-Baustelle. Wie die anderenBetroffenen auch hatte er unmittelbar nach dem Unglück von den KölnerVerkehrsbetrieben (KVB) eine Vorleistung von 10 000 Euro erhalten. Aberdie Frage der Entschädigung ist auch ein Jahr später noch nichtabschließend geklärt.
Wenn er in der Nähe ist, geht Schönecker meistensan der Stelle vorbei, wo sich einst sein Haus befand. „Trotz allem: Ichsehe mich eigentlich nicht als Opfer, sondern als Glückskind“, sagt er.„Denn ich bin dankbar, dass mir nichts passiert ist.“