„Kasimir und Karoline“ Zeitgeistiger Ringelpiez mit Anfassen

Salzburg (dpa) - Theaterreformer wollen seit jeher mehr „Relevanz“. Sie wollen ganz normale Leute auf die Bühne bringen, die Schranken zwischen Bühne und Publikum nieder- und dasselbe aus seiner vermeintlichen Lethargie herausreißen.

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Das Programm des „post-dramatischen“, des „partizipativen“ Theaters hat seit einigen Jahren die Stadt- und Staatstheater der Republik überrollt und im Zuge der Flüchtlingskrise nochmals Fahrt aufgenommen.

Am Freitagabend war ein derartiges Experiment erstmals im Hauptprogramm der Salzburger Festspiele zu beobachten. Die Meinung des Publikums im Großen Studio der Universität Mozarteum dazu war geteilt: Jubel, Pfiffe, aber auch Buhs.

Auf dem Programm des partizipativen Abends stand Ödön von Horváths Stück „Kasimir und Karoline“. Es entstand im Jahre 1932 während der Weltwirtschaftskrise, die in Deutschland ein Jahr später die Nazis an die Macht bringen sollte. Horváths grotesk-melancholisches „Volksstück“ begleitet ein Liebespaar, Kasimir und Karoline, auf seiner privaten Odyssee über das Münchner Oktoberfest.

Kasimir, ein gerade arbeitslos gewordener Chauffeur wird von Zukunftsängsten geplagt, seine Freundin, eine Büroangestellte, will sich amüsieren. Sie setzt sich ab, fährt mit einem Mann namens Eugen Achterbahn und lässt sich dann mit dessen Chef ein, dem reichen Krisengewinnler Rauch.

Es gibt dann noch einen Kriminellen, Franz, und dessen Freundin Erna. Letzterer wendet sich irgendwann Kasimir zu. Karoline versucht immer wieder zurückzukehren. Am Ende bleibt alles, wie es ist: „Man hat oft so eine Sehnsucht in sich — aber dann kehrt man zurück mit gebrochenem Flügel, und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen.“ Dieser Satz ist auch im Original zu hören.

Ansonsten hat das New Yorker Regieduo 600 Higwaymen, bestehend aus Abigail Browde und Michael Silverstone, das Stück kräftig auf 90 Minuten eingedampft und kräftig aktualisiert. Rauch etwa beutet Migranten aus, die dann abgeschoben werden.

Statt professioneller Schauspieler haben 600 Highwaymen im Vorfeld der Inszenierung eine multiethnische, multinationale Truppe von mehr oder weniger begabten und erfahrenen Laienschauspielern aller Altersstufen gecastet. Ein Mann aus Aleppo ist dabei, ein Deutsch-Nigerianer, ein österreichisch-britischer Schüler, eine Pensionistin. Manche haben schon eine lange Latte von kleineren Engagements vorzuweisen, unter dem Konterfei der Pensionistin steht im Programmheft nur, sie „entdeckt das Leben“.

Feste Rollenzuteilungen gibt es nicht in dieser zeitgeistigen Horváth-Adaption. Alle spielen mehr oder weniger alle, wobei ständig zwischen Dialog und Erzählhaltung gewechselt wird. Auf überwiegend leerer Bühne sind die Darsteller, in Alltagsklamotten, zu allerlei Dehnübungen und recht ungelenken Choreographien angehalten.

Im letzten Drittel wird es etwas chaotisch und auch sozial-kitschig. Es wird auf Englisch gespielt und gesungen: Oktoberfest meets Broadway. Es gibt ein Art Ringelpiez mit Anfassen und stilisierten Volkstanz. Dann müllen die Oktoberfestler die Bühne aus großen Säcken mit Kehricht zu, der später wieder weggefegt wird.

Das alles überschreitet zwar nur selten die Grenze zur Peinlichkeit, doch viel mehr als gehobenes Studententheater kommt an diesem vorletzten Salzburger Theaterpremierenabend nicht heraus. Prädikat: nicht festspielwürdig, zumindest fürs Hauptprogramm. Die Botschaft leibt diffus. Unruhige Zeiten („die beängstigende Trump-Ära“), so lernt man, machen auch vor privaten Beziehungen nicht Halt. Und irgendwas muss verändert werden. „Wir müssen was Neues schaffen“, sagt Erna. Nur was?