Zug und Baum im Konflikt
Wenn Äste die Gleise blockieren, sind die Fahrgäste genervt — und die Bahn verliert Geld.
Wenn von Millionen Bäumen an deutschen Bahnstrecken nur ein einziger umfällt, kann der Schaden groß sein. Für Reisende heißt es dann oft genug, stundenlang auf freier Strecke festzusitzen. Passiert das bei gutem Wetter ohne Sturm, wie im Juni zwischen Bremen und Hamburg, reagieren viele Betroffene genervt. Auch der Bahn gefallen solche Unterbrechungen nicht, sie sind teuer und bringen den Betrieb durcheinander. „Uns stört das erheblich“, sagt der Leiter des Oberbaus der Bahn, Thomas Hempe.
Aber selbst wenn die Bahn es wollte, sie dürfte nicht einfach alle Bäume an den Strecken fällen. Unter anderem der Natur- und Artenschutz stehen dem entgegen. Auch als optische und akustische Abtrennung von Bahnlinien sei Bewuchs erwünscht. „Wir sind in einem Zielkonflikt“, räumt der Manager ein. Deshalb versucht die Bahn eine möglichst friedliche Koexistenz von Baum und Schiene zu erreichen. „Oberstes Gebot ist für uns die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs.“
Seit 2007 setzt das Unternehmen nach und nach einen Pflegeplan an den Strecken in Deutschland um. Der Baumbestand wird einmal gründlich durchgeforstet, um zum Beispiel umsturzgefährdete Exemplare zu entfernen. Anschließend kommen Arbeiter zur Pflege vorbei. Auf sechs Metern Breite zu beiden Seiten der Gleise wird die Vegetation einmal im Jahr beseitigt. „Alles, was jenseits der sechs Meter wächst, wird nicht zurückgeschnitten, sondern gepflegt.“ Standsichere Bäume dürfen bleiben. Ein dichtes Wurzelwerk halte die Böschungen zusammen, sagt Hempe.
Auf Strecken, die noch nicht in der Pflege sind, reduzieren Züge ab Windstärke acht aus Sicherheitsgründen ihre Geschwindigkeit. Das gesamte Netz der Bahn umfasst 33 000 Kilometer, aber nicht überall muss Grün gepflegt werden oder sind — wegen Lärmschutzwänden, Bahnhöfen, Tunnel — beide Seiten bewachsen. Insgesamt geht es um 59 000 Kilometer Schnittlänge, aktuell sind 52 000 Kilometer in der Pflege. „2018 sollen die letzten Strecken durchgearbeitet sein.“ Die gesamte Vegetationskontrolle lässt sich die Bahn pro Jahr etwa 90 Millionen Euro kosten.
Probleme kann es geben, wenn Privatgrundstücke an Bahnstrecken angrenzen. Dort sind die Eigentümer verantwortlich. Oft suche die Bahn das Gespräch, um Gefahren abzuwenden. „Meistens einigt man sich“, sagt Hempe. Manchmal müsse aber ein Gutachter ran, um die Standfestigkeit von Bäumen zu beurteilen.
Einfacher ist es an neu gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecken. Dort wird grundsätzlich an beiden Seiten ein Sicherheitsstreifen von Vegetation freigehalten.
In den ersten sechs Monaten 2014 gab es ohne den Orkan „Ela“, der große Schäden vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen anrichtete, nach Hempes Angaben — bei täglich 39 000 Zugfahrten in Deutschland — exakt 68 Zusammenstöße von Schienenfahrzeugen mit Bäumen. Der Sachschaden betrug 160 000 Euro.