Ägyptisches Militär droht mit Einmischung in die Krise
Präsident Mursi nimmt umstrittenes Dekret zurück. Die Opposition kündigt für heute Demonstrationen an.
Istanbul/Kairo. Nach stundenlangen Beratungen mit seinen Vertrauten und Oppositionellen in seinem Palast hat Präsident Mohammed Mursi eingelenkt. Am späten Samstagabend ließ er den Islam-Gelehrten Mohammed Selim al-Awa erklären, dass die umstrittenen Sondervollmachten für das Staatsoberhaupt annulliert seien. Sie waren der Anlass für die jüngsten Massendemonstrationen, die zum Teil blutig endeten.
Die Entscheidung kam an einem Tag, an dem nach und nach wichtige Entscheidungsträger des Landes aus der Deckung kamen und vor die Kameras traten. Als erster wandte sich am Mittag der Vorsitzende der Muslimbrüder an das Volk, ein ergrauter älterer Herr mit Brille und kurzem Bart, auf dessen Stirn die „Sabiba“ — das vermeintliche Gebetsmal — zu sehen ist. „Was momentan in Ägypten passiert, ist keine Opposition“, sagte Mohammed Badia. Vielmehr handele es sich um „kriminelle“ Machenschaften. Der 69-Jährige ist seit knapp drei Jahren der „Murschid“, der Führer der Bewegung. Er gilt als konservativer Hardliner und saß wegen seiner politischen Aktivitäten mehr als zwölf Jahre im Gefängnis.
Dann beschwor Badia alte Zeiten. Als Langzeitherrscher Husni Mubarak vor beinahe zwei Jahren gestürzt wurde, hatten Muslimbrüder und andere Aktivisten Seit an Seite demonstriert. An diese Zusammenarbeit erinnerte er nun. Die jüngsten Ausschreitungen bezeichnete Badia jedoch als Werk von bezahlten Krawallmachern, die dem Land schaden wollten.
Die größte Wucht an jenem Tag hatte aber eine Erklärung des Militärs, die von einem Sprecher im Staatsfernsehen verlesen wurde. Die Armee — in Ägypten ein Staat im Staate — hatte sich bislang in der Krise zurückgehalten. Die Konfliktparteien in Ägypten müssten in den Dialog treten und zum Kompromiss kommen, las der Sprecher vor. Alles andere werde das Land durch einen „Tunnel in die Katastrophe“ führen. „Das werden wir nicht erlauben“, drohte das Militär.
Die Opposition hat das für Samstag geplante Referendum über einen umstrittenen Verfassungsentwurf abgelehnt und für heute zu Protesten gegen die Volksabstimmung aufgerufen. Der Entwurf „gibt nicht den Willen des Volkes wieder“, sagte ein Oppositionssprecher gestern Abend.