Teilmobilisieren Asyl für Kriegsdienstverweigerer aus Russland - Deutschland will EU-Lösung

Nach der Teilmobilmachung in Russland machen sich deutsche Politiker für die Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in Deutschland stark. Nun soll eine EU-Lösung her. Es gibt aber auch Kritik.

Polizisten halten Demonstranten während einer Demonstration gegen die Anordnung einer Teilmobilisierung der Streitkräfte fest.

Foto: dpa/Uncredited

Die Bundesregierung will auf europäischer Ebene in den nächsten Wochen eine gemeinsame Linie zum Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigern erreichen. Dass nach der am Mittwoch verkündeten Teilmobilmachung viele russische Männer versuchten, sich dem Kriegsdienst in der Ukraine zu entziehen, sei zunächst einmal „ein gutes Zeichen“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin. Jetzt gehe es darum, gemeinsam mit den anderen EU-Staaten „eine tragfähige Lösung“ zu finden. In dieser besonderen Situation nur darauf zu verweisen, dass jeder, der es schaffe einzureisen, einen Asylantrag stellen könne, sei nicht ausreichend.

In jedem einzelnen Fall müssten vor einer Aufnahme aber immer die Beweggründe des mutmaßlichen Kriegsdienstverweigerers geprüft werden, betonte Hebestreit. Denn es müsse sichergestellt werden, dass derjenige, der aufgenommen werde, niemand sei, der sich im Auftrag der russischen Staatsmacht nach Europa bewege.

Pläne für ein Sonderaufnahmeprogramm oder sogenannte humanitäre Visa für russische Kriegsdienstverweigerer gibt es bislang weder in Deutschland noch auf EU-Ebene. Über ein Programm, das besonders gefährdeten Dissidenten, Journalisten und Wissenschaftlerinnen Schutz bieten soll, hat Deutschland nach Angaben des Bundesinnenministeriums bisher 438 Menschen aus Russland aufgenommen. Der Sprecher des Ministeriums, Maximilian Kall, sagte, die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Asylbewerber aus Russland sei bereits im April so geändert worden, „dass im Regelfall die Kriegsdienstverweigerung ein Schutzgrund ist“.

Nach der Teilmobilmachung in Russland machten Politiker aus Koalition und Opposition sich für die erleichterte Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in Deutschland stark. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sagte der „Rheinischen Post“ (Bezahlinhalt): „Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl gewährt werden.“

SPD-Faktionsvize Dirk Wiese sagte der Zeitung, allein die verschärften Strafen, die Menschen bei Entzug der Einberufung drohten, „halte ich bereits nach jetziger Rechtslage für ausreichend als Asylgrund“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, die Menschen, die sich jetzt gegen die Einberufung wehrten, seien „ungeheuer mutig“. „Solche Menschen zu
unterstützen, solchen Menschen Zuflucht zu geben, das halte
ich wirklich für selbstverständlich“, sagte Weil in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag), humanitäre Visa müssten jetzt großzügig und umfassend ausgelegt werden. „Das muss auch für Soldaten gelten, die sich offen gegen das Putin-Regime stellen.“

Nach der vom Kreml verkündeten Einberufung von 300 000 Reservisten versuchen viele junge Männer, sich aus Russland abzusetzen. Es gab in Russland Proteste gegen die Maßnahme mit Hunderten Festnahmen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte zu einer Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt: „Von schweren Repressionen bedrohte Deserteure erhalten im Regelfall internationalen Schutz in Deutschland. „Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen“. Die Erteilung von Asyl sei jedoch eine Einzelfallentscheidung, in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolge.

Mit Blick auf die Diskussion twitterte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk: „Falscher Ansatz! Sorry. Junge Russen, die nicht in den Krieg ziehen wollen, müssen Putin und sein rassistisches Regime endlich stürzen, anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen.“

(dpa)