70 Tote bei Anschlag auf Foltergefängnis in Damaskus
Damaskus/Istanbul (dpa) - Eine neue Welle der Gewalt reißt Syrien immer tiefer in einen umfassenden Bürgerkrieg hinein: Bei einem Bombenanschlag vor einem berüchtigten Foltergefängnis in der Hauptstadt Damaskus sind am Donnerstag nach offiziellen Angaben 70 Menschen ums Leben gekommen.
Die Regierung erklärte, die Explosion sei das Werk von zwei Selbstmordattentätern. Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand.
Das Innenministerium berichtete, es seien 55 Leichen sowie Leichenteile von 15 weiteren Menschen geborgen worden. Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter sprach von 59 Toten und meldete, die meisten Anschlagsopfer seien Mitarbeiter der Sicherheitskräfte. Das sogenannte Palästina-Verhörzentrum ist eine der am meisten gefürchteten Einrichtungen des Sicherheitsapparates des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Viele politische Gefangene wurden dort gefoltert.
UN-Vermittler Kofi Annan rief die Konfliktparteien auf, die Waffenruhe zu respektieren. Er erklärte: „Alles, was zu mehr Spannungen und Gewalt führt, kann den Interessen aller Beteiligten nur Schaden zufügen.“ Bundesaußenminister Guido Westerwelle bestätigte, dass in Berlin über die Entsendung deutscher Beobachter nach Syrien nachgedacht wird. „Weitergehende Überlegungen hat die Bundesregierung noch nicht abgeschlossen“, sagte er.
Im Gespräch ist die Entsendung von bis zu einem Dutzend unbewaffneter Beobachter. Ein Deutscher ist bereits Teil der UN-Mission in Syrien, die derzeit aus rund 70 Militärs verschiedener Nationalitäten besteht. Der deutsche Soldat untersteht jedoch nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen direkt dem UN-Kommando.
Die Opposition behauptete, das Regime habe den Anschlag im Al-Kazzaz-Viertel verüben lassen, um die Revolution im Land als Werk islamistischer Terroristen darzustellen. Beweise für ihre Version legten die Regimegegner allerdings nicht vor.
Die ersten Leichen und Verwundeten wurden am Morgen nach Angaben eines Augenzeugen von Anwohnern geborgen. Später erst trafen Krankenwagen und Fernsehteams am Anschlagsort ein. Das staatliche Fernsehen zeigte Aufnahmen verkohlter Leichen.
Ein dpa-Mitarbeiter sah etwa 30 Autos, die durch die Explosion zerstört worden waren. Mehrere Gebäude seien stark beschädigt, sagte er. Viele der unverletzten Anwohner stünden unter Schock. Sie weinten und klagten. Einige von ihnen riefen: „Gott schütze Syrien!“ Am Mittag seien die verkohlten Autowracks abtransportiert worden.
Der großen Explosion ging nach Angaben von Anwohnern eine kleinere Explosion am gleichen Ort voraus. Noch in weit entfernten Stadtvierteln klirrten die Fenster der Gebäude. Regimegegner veröffentlichten ein Video, das verängstigte Zivilisten zeigt, die nach dem Anschlag in Panik durch die Gassen des Viertels liefen.
Der Leiter der UN-Beobachtermission, Generalmajor Robert Mood, nahm den Tatort selbst in Augenschein. In der unmittelbaren Nähe seines Konvois war am Vortag in der Provinz Daraa ein Sprengsatz explodiert, der sechs syrische Soldaten verletzte. Experten und Diplomaten haben in den vergangenen Wochen mehrfach darauf hingewiesen, dass der Einsatz der unbewaffneten Militärbeobachter in Syrien sehr gefährlich sei.
In einigen Regionen Syriens herrscht schon seit Monaten Bürgerkrieg. In anderen Provinzen Syriens sollen die Regimetruppen am Donnerstag nach Angaben von Aktivisten 14 Menschen getötet haben, darunter zwei Kinder und einen Deserteur.
Der Aufstand gegen Assad hatte im vergangenen März mit friedlichen Protesten begonnen, die dann rasch in einen blutigen Konflikt umschlugen. Seither sollen rund 10 000 Menschen in Syrien getötet worden sein. Etliche von ihnen starben nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen an den Folgen von Folter.