Afghanistan: Die Angst der Übersetzer
Wenn die Bundeswehr ihre Zelte abbricht, könnten deren Helfer in Gefahr sein.
Kundus/Berlin. Nasir Ahmad Jusufi blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Der Afghane ist Übersetzer bei der Bundeswehr in Kundus. Bis zum Herbst will die Truppe ihr Feldlager dort schließen. Jusufi sorgt sich nicht nur um seine wirtschaftliche Zukunft, sondern vor allem um sein Leben: Die Taliban haben Übersetzern der Internationalen Schutztruppe Isaf Rache angedroht. „Wir selber können uns nicht schützen“, sagt der 25-Jährige. „Meine größte Sorge ist, was passiert, wenn die Isaf hier abzieht.“ Er sieht die Bundeswehr in der Pflicht, ihm Schutz außerhalb Afghanistans zu gewähren.
Je näher das Ende der Isaf-Mission 2014 rückt, desto mehr nimmt die deutsche Debatte um die Ortskräfte in Afghanistan Fahrt auf. Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour fordert ein „umfassendes Aufnahmeangebot“, um die einheimischen Mitarbeiter vor Racheakten der Taliban zu schützen — und um die Glaubwürdigkeit der Deutschen zu wahren. Auch sein Parteifreund Tom Koenigs hatte in unserer Zeitung die komplette Aufnahme der Bedrohten gefordert. Die Bundesregierung ist dazu nicht bereit, hat aber zugesagt, jeden Einzelfall zu prüfen. Wie jetzt bekannt wurde, soll sie nun erstmals einer anderen bedrohten Ortskraft Asyl in Deutschland zugesagt haben.
Rund 1500 Ortskräfte arbeiten derzeit noch für das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie für das Auswärtige Amt in Afghanistan. Etwa 450 davon sind übersetzen aus den Landessprachen Dari und Paschtu auf Deutsch oder Englisch für die Truppe. „Wir sind fast jeden Tag draußen und nehmen an Treffen teil“, sagt Jusufi. „Manchmal gehen wir in die Dörfer. Natürlich wissen die Menschen, dass ich für die Isaf arbeite.“ Es gebe Drohungen gegen Übersetzer. Er sei nicht nur besorgt über die Taliban, sondern auch über soziale Probleme nach dem Abzug der Bundeswehr, sagt Jusufi. „Für manche Menschen sind Übersetzer nicht anders als die Ausländer. Manchmal nennen sie uns Ungläubige oder sagen, dass Übersetzer Spione der Isaf hier sind.“
Die Isaf müsse Lösungen zum Schutz ihrer Ortskräfte finden, fordert Jusufi. „Zum Beispiel Asyl. Vielleicht vorübergehend für ein paar Jahre.“ Die Bundesregierung bringt das in ein Dilemma. Allen Ortskräften aus Sicherheitsgründen Asyl anzubieten, käme einem Eingeständnis gleich, dass der elfjährige Einsatz gescheitert wäre. Die Bundesregierung verweist außerdem darauf, dass die Regierung in Kabul ausdrücklich darum gebeten hätte, die Ortskräfte nicht außer Landes zu bringen. Sie wollen keine Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte.