Ankara verschärft Kontrolle des Internets
Istanbul/Brüssel (dpa) - Ein neues Internet-Gesetz könnte die Meinungsfreiheit in der Türkei weiter einschränken. Die türkische Opposition protestiert heftig, Brüssel fordert Änderungen. Schon jetzt liegt die Türkei auf der Liste der Pressefreiheit auf den hinteren Plätzen.
„Das Gesetz muss in Übereinstimmung mit EU-Standards neugefasst werden“, sagte der Sprecher des EU-Erweiterungskommissars Stefan Füle in Brüssel. Die Öffentlichkeit in der Türkei brauche mehr Information und mehr Transparenz und keine Behinderungen.
Ungeachtet internationaler Kritik hatte das türkische Parlament das Gesetz in der Nacht zu Donnerstag verabschiedet. Behörden dürfen demnach den Zugang zu Internetseiten auch ohne richterlichen Beschluss sperren. Das Gesetz verpflichtet Internetanbieter zudem, Nutzer-Daten bis zu zwei Jahre zu speichern.
Das Gesetz geht auf einen Vorschlag der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zurück. Die Opposition warf Erdogan vor, sich Instrumente für eine Zensur zu verschaffen. Das Gesetz muss dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül noch zur Unterschrift vorgelegt werden. Die Türkei ist Beitrittskandidat der EU.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte auf Twitter, das Gesetz sei „ein Schritt zurück in einer schon jetzt erstickenden Umgebung für Medienfreiheit“. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) von Ende vergangenen Jahres sind in der Türkei mehr Journalisten inhaftiert als in jedem anderen Staat der Welt.
Grünen-Chef Cem Özdemir mahnte, die türkische Regierung müsse sich dem offenen Dialog mit der kritischen Zivilgesellschaft stellen, statt deren Meinungsfreiheit einzuschränken. „Wenn Erdogan von Deutschland Unterstützung für einen EU-Beitritt einfordert, darf er die Türkei mit solchen undemokratischen Gesetzen nicht weiter von Europa wegführen.“
Türkische Oppositionspolitiker warfen der Regierung vor, mit der geplanten Sperrung Kritik unterbinden zu wollen. Schon bisher wurden in der Türkei wiederholt beliebte Internetplattformen gesperrt, die auch von Gegnern Erdogans und der türkischen Protestbewegung als Kommunikationsweg genutzt worden waren. Dies war allerdings nur mit richterlichem Beschluss möglich.
Die türkische Regierung erklärt, die erleichterte Sperrung solle dem Schutz der Jugend vor schädlichen Einflüssen aus dem Internet dienen und sie vor Drogen und Pornografie bewahren. Kritik aus dem In- und Ausland weist sie zurück.
In Deutschland gibt es keine Möglichkeit, Internetseiten zu sperren, aber die Option, sie zu löschen. Dies kommt etwa bei strafrechtlichen Verstößen in Betracht - zum Beispiel bei kinderpornografischen oder volksverhetzenden Inhalten. In diesen Fällen wenden sich die Ermittlungsbehörden an die Internetanbieter, die die Seiten dann meist freiwillig löschen. Wehrt sich ein Provider dagegen, muss ein Gericht entscheiden und möglicherweise einen richterlichen Beschluss erlassen.
Zur Speicherung der Daten von Internetnutzern gibt es in Deutschland derzeit keine gesetzliche Regelung. In der EU müssen die Mitgliedsstaaten zwar seit 2006 dafür sorgen, dass Telekommunikationsfirmen ohne Anfangsverdacht oder konkrete Gefahr Verbindungsdaten zu Telefonaten und E-Mails von Privatleuten für mögliche Ermittlungen mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre aufbewahren. Die deutsche Regelung dazu wurde jedoch 2010 gekippt. Seitdem fehlt eine Gesetzesvorschrift.
Die große Koalition will die sogenannte Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Das Instrument steht auf EU-Ebene momentan aber auf dem Prüfstand. Bis das geklärt ist, will Schwarz-Rot mit der Neuregelung warten.