Assad-Regime und Rebellen werfen einander Giftgas-Einsatz vor
Damaskus/Istanbul/Washington (dpa) - Während die Opposition in Istanbul ihren neuen Ministerpräsidenten vorstellt, eskaliert in Syrien die militärische Gewalt. Bei einem Raketenangriff in Aleppo wurde womöglich Gift als Waffe eingesetzt.
Die Bürgerkriegsparteien in Syrien beschuldigten sich gegenseitig, Giftgas eingesetzt zu haben. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete, bei einem Angriff der Rebellen mit chemischen Waffen in Chan al-Asal in der Provinz Aleppo seien 25 Menschen getötet und 86 Zivilisten und Soldaten verletzt worden.
Die Regimegegner wiesen die Darstellung zurück und behaupteten, das Regime habe versehentlich seine eigenen Anhänger bombardiert. Der Sender Al-Dschasira zitierte einen Mediziner in Aleppo, der einen tödlichen Einsatz von Pestiziden vermutete.
Die USA haben keine Hinweise darauf, dass Regimegegner in Syrien Chemiewaffen eingesetzt haben. Das russische Außenministerium bewertete den Vorfall als „äußerst beunruhigende und gefährliche Entwicklung in der Syrienkrise“.
„Einige Opfer sprachen von einem stechenden Geruch. Chemiewaffen sind normalerweise geruchlos“, sagte der Mediziner Siad Haddad dem Sender in Aleppo. Nach Haddads Angaben seien Betroffene nach akuten Atembeschwerden gestorben, darunter Armeesoldaten und regierungstreue Milizen. Ein Einsatz von Nervengas hätte nach Haddads Einschätzung deutlich mehr Menschen getötet.
Ein Oppositioneller aus Aleppo sagte: „Wir wissen nicht genau, ob es wirklich eine Giftgas-Attacke war, vielleicht hat die Rakete auch eine Fabrik getroffen, aus der dann giftige Gase ausgetreten sind.“
Eine Rakete schlug etwa zur gleichen Zeit in der Provinz Aleppo nahe der Frontlinie ein, als der neue Ministerpräsident der syrischen Übergangsregierung, Ghassan Hitto, in Istanbul sein Programm vorstellte. Die syrische Opposition hatte den konservativen Regimekritiker in der Nacht zuvor gewählt. In seiner ersten Rede sagte der 50 Jahre alte IT-Fachmann am Dienstag, im Kampf gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad sei jedes Mittel angemessen.
Der neue Ministerpräsident der Übergangsregierung sagte, seine Prioritäten seien der Sturz des Assad-Regimes und die Versorgung der Bevölkerung in den von Rebellen kontrollierten Gebieten. Hitto, der die US-Staatsbürgerschaft besitzt, ist gegen Verhandlungen mit dem Regime.
Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, sagte zu den Berichten über einen Giftgaseinsatz, die US-Regierung untersuche Vorwürfe einer derartigen Attacke „in engen Konsultationen mit Partnern in der Region und in der internationalen Gemeinschaft“. „Aber wir haben keine Beweise, die den Vorwurf belegen.“ Auch die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter, die von 26 Toten sprach, konnte den Einsatz von Giftgas nicht bestätigen.
Eine lokale Rebellen-Einheit veröffentlichten eine Video-Botschaft, in der sie behauptete, die Regierungstruppen hätten eine „Scud“-Rakete auf den Ort abgeschossen, der zwischen den Rebellen und der Armee umkämpft ist. Dabei hätten sie ihr Ziel, eine Polizeischule in der Nähe der Front, verfehlt und versehentlich ihre eigenen Anhänger bombardiert.
Carney sagte, die USA seien zutiefst skeptisch, was das Assad-Regime betreffe, ein Regime, das alle Glaubwürdigkeit verloren habe. „Und wir möchten das Regime auch davor warnen, diese Art von Vorwürfen zu machen, jede Art von Vorwand (...) für einen eigenen Einsatz von chemischen Waffen.“
Der Sprecher erinnerte daran, dass Präsident Barack Obama es generell „sehr klar“ gemacht habe, dass ein Einsatz chemischer Waffen „völlig inakzeptabel“ wäre. Obama hatte im August vergangenen Jahres mit einem Militärschlag gegen Syrien gedroht, sollte das Assad-Regime chemische Waffen einsetzen oder deren Einsatz vorbereiten. Die US-Regierung hatte dem Assad-Regime und „jedem Spieler in der Region unmissverständlich klar gemacht, dass es eine rote Linie für uns wäre, es enorme Konsequenzen hätte, wenn wir an der Chemiewaffenfront Bewegung oder einen Einsatz sehen“, so der Präsident damals weiter.
Insgesamt wurden am Dienstag in Syrien nach Angaben von Regimegegnern 90 Menschen getötet.