Begnadigt der Papst seinen Kammerdiener?
Der frühere Mitarbeiter Paolo Gabriele wird in der Vatikan-Affäre wegen Diebstahls verurteilt. Doch viele Fragen bleiben offen.
Rom. Paolo Gabriele, der frühere Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., hörte den Urteilsspruch mit unbewegter Miene: eineinhalb Jahre Haft für den Diebstahl vertraulicher Dokumente aus dem Umfeld des Papstes. Der Prozess ist zu Ende, doch viele Fragen bleiben offen.
Gabriele (46) hat seiner Kirche eine schlimme Affäre beschert. Monatelang hielten die Enthüllungen den Kirchenstaat in Atem. „Ich fühle mich nicht als Dieb“, sagte der tiefgläubige Familienvater in seinem Schlusswort. „Was ich stark in mir fühle, ist die Überzeugung, dass ich aus tiefer, hingebungsvoller Liebe zur Kirche von Jesus Christus und zu ihrem Oberhaupt gehandelt habe.“
Das Tribunal unter Vorsitz von Präsident Giuseppe Dalla Torre billigt Gabriele denn auch mildernde Umstände zu. Andernfalls wäre die Strafe doppelt so hoch ausgefallen. Er sei nicht vorbestraft und habe aus persönlicher Überzeugung gehandelt, wenngleich diese ein Irrweg gewesen sei, sagt Dalla Torre. Benedikt wird wohl Gnade walten lassen. Eine Begnadigung sei eine „sehr wahrscheinliche Möglichkeit“, sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi.
In der Affäre waren immer wieder brisante Informationen durchgesickert. Es ging um Korruptionsverdacht, um undurchsichtige Geschäfte der Vatikanbank, um die Gesundheit des Papstes. Einige Dokumente sind in Gianluigi Nuzzis Buch „Seine Heiligkeit“ abgedruckt. Mehrfach taucht der Name von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone auf — zweiter Mann im Vatikan. In den Medien wurde über Machtkämpfe spekuliert — und bezweifelt, dass Gabriele alleine handelte. Staatsanwalt Nicola Picardi, der drei Jahre Haft verlangt hatte, schildert Gabriele als beeinflussbaren Menschen. Doch das bedeutet für den Ankläger nicht, dass Gabriele gesteuert wurde.
Fragen bleiben. Vor seiner Festnahme hatte Gabriele gesagt, es gebe im Vatikan etwa 20 Gleichgesinnte. Vorwürfe wie Geheimnisverrat, die eine tiefere inhaltliche Prüfung verlangt hätten, wurden aber erst gar nicht verfolgt. Der Papst setzte zur internen Aufarbeitung eine Kardinalskommission ein, doch deren Bericht wurde nicht veröffentlicht.
Erst einmal ist Gabriele wieder bei seiner Frau und den drei Kindern. Er steht unter Hausarrest bis das Urteil rechtskräftig wird.