Flüchtlingspolitik in der EU Berlin will Diskussion über Flüchtlingsverteilung aussetzen
Sofia (dpa) - Die Bundesregierung ist bereit, die Diskussion über eine gleichmäßigere Verteilung von Flüchtlingen in Europa vorerst auszusetzen.
„In der Substanz brauchen wir (...) selbstverständlich eine faire Verteilung“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag am Rande von EU-Beratungen in Sofia. Um Fortschritte bei der geplanten Reform des Asyl- und Flüchtlingssystems der EU zu erzielen, sei es aber wohl sinnvoll, sich erst auf die anderen Themen zu konzentrieren. Dazu gehörten zum Beispiel eine Einigung auf Regelungen für den Umgang mit Asylsuchenden und gemeinsame Aufnahmebedingungen.
Ob Deutschland am Ende vielleicht sogar einer Reform zustimmen könnte, in der selbst bei einem großen Zustrom von Flüchtlingen keine Umverteilung von Flüchtlingen nach Quoten vorgesehen ist, ließ de Maizière offen. „Das entscheiden wir dann am Ende der Verhandlungen“, sagte er.
Der neue österreichische Innenminister Herbert Kickl von der rechtspopulistischen FPÖ wertete die EU-Beratungen am Donnerstag als Beleg dafür, dass sich ein Abschied von Quotenplänen andeuten könnte. Es gebe seiner Meinung nach mittlerweile das „allgemeine Bewusstsein“, dass sich die EU nichts Gutes tue, wenn sie in der Frage gegen den Willen einzelner Regierungen oder den Willen der Bevölkerung einzelner Länder agiere, sagte er. Dies sei nicht zielführend.
Ähnlich wie de Maizière hatte sich kurz zuvor auch schon Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) geäußert. „Die Priorität ist eher zu wissen, wie die (EU-) Außengrenzen kontrolliert werden, und diejenigen zu unterstützen, die damit belastet sind“, sagte er in einem gemeinsamen Gespräch der französischen Tageszeitung „Le Monde“ (Donnerstag) und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Für ihn sei eine gemeinsame Migrations- und Integrationspolitik wichtiger als Quoten zur Verteilung von Asylbewerbern.
Wegen des Streits über eine mögliche Quotenregelung zur Umverteilung von Flüchtlingen in der EU, kommt die geplante Reform der EU-Asylpolitik seit 2016 nicht voran. Ziel der EU-Staaten ist es derzeit, bis Juni zu einer politischen Einigung zu kommen.
In der Auseinandersetzung geht es vor allem um die Frage, wie künftig im Fall einer Flüchtlingskrise besonders stark betroffene Staaten entlastet werden können. Die EU-Kommission und Länder wie Deutschland sind eigentlich dafür, ein Konzept zu beschließen, das zumindest bei einem sehr starken Zustrom eine Umverteilung inklusive Aufnahmepflicht vorsieht.
Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien lehnen allerdings jegliche Art von Zwang bei der Aufnahme von Flüchtlingen ab. Unterstützung bekamen sie zuletzt auch von Österreichs neuem Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der ÖVP-Politiker argumentiert, dass sich ja nicht nur einige Mitgliedsstaaten wehrten, sondern die Flüchtlinge selbst gar nicht bereit seien, in Länder wie Bulgarien, Rumänien oder Polen zu gehen. Und selbst wenn man sie mit Polizeigewalt dorthin schaffte, würden sie sobald wie möglich nach Deutschland, Österreich oder Schweden ziehen.
Der slowakische Innenminister Robert Kalinak kommentierte in Sofia: „Quoten sind keine gute Sache. (...) Wir müssen uns etwas anderes überlegen.“
Wie eine Lösung ohne Aufnahmepflicht aussehen könnte, ist allerdings unklar. Eine „Freikaufmöglichkeit“ als Kompromiss lehnt die Bundesregierung bislang ab.
Das aktuelle Dublin-System sieht vor, dass grundsätzlich jenes Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Schutzsuchender das erste Mal einen Asylantrag gestellt hat oder in dem er nachweislich EU-Boden betreten hat.
In der jüngsten Flüchtlingskrise hatte sich die Dublin-Verordnung allerdings als nicht praktikabel erwiesen, weil Länder wie Griechenland den Massenzustrom nicht stemmen konnten und Migranten weiter in andere EU-Länder wie Deutschland weiterziehen konnten.
„Das System funktioniert nur (...), wenn danach auch eine Verteilung stattfindet“, kommentierte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn in Sofia. In Krisenzeiten könne nicht die ganze Last auf den Außengrenzenländern liegen. Eine europäische Flüchtlingspolitik müsse im Interesse von allen Ländern sein. „Wenn wir das nicht hinkriegen, werden wir darin ersticken“, sagte er.
De Maizière äußerte die Hoffnung, dass Fortschritte in anderen Bereichen der Migrationspolitik mitteleuropäische Staaten zum Umdenken bewegen könnten. Dazu gehöre beispielsweise der Schutz der EU-Außengrenzen. „Je geringer die Zahl von illegalen Migranten ist, die nach Europa kommen, umso weniger relevant ist das Problem der Verteilung von Schutzbedürftigen und umso leichter erreicht man sicherlich eine Einigung zur Verteilung“, sagte der CDU-Politiker.