Blockade nach Wahlen in Italien
Rom (dpa) - Italien steht nach der Schicksalswahl vor einer wochenlangen Hängepartie bei der Regierungsbildung mit unabsehbaren Folgen für den Euro.
Da keines der politischen Lager in beiden Parlamentskammern eine ausreichende Mehrheit hat und sich mehrere Bündnisse blockieren, wächst in ganz Europa die Sorge vor einer Unregierbarkeit des Krisenlandes und einem Wiederaufflammen der Euro-Staatsschuldenkrise. Präsident Giorgio Napolitano versuchte am Abend, die Sorgen der internationalen Gemeinschaft zu zerstreuen.
Er sei guter Dinge und der Ansicht, die italienischen Wähler hätten eine souveräne Entscheidung getroffen. „Es sind manchmal kalte Zeiten, und für den Präsidenten eines südlichen Landes wird auch das zu meistern sein“, sagte Napolitano in München zum Auftakt eines mehrtägigen Staatsbesuchs in Deutschland. Er sei überzeugt, dass die Regierungsbildung im Interesse des Gemeinwohls gelingen werde.
Auch Kanzlerin Angela Merkel gab sich gelassen. „Italien wird seinen Weg finden“, sagte Merkel am Dienstag bei einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag in Berlin.
Im Abgeordnetenhaus und im umkämpften Senat rettete das Mitte-Links-Lager von Pier Luigi Bersani einen knappen Vorsprung vor dem konservativen Bündnis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi ins Ziel. Doch im Senat können Berlusconi und die überraschend starke Anti-Establishment-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, die auf Anhieb ein Viertel der Stimmen abräumte, Gesetzesvorhaben anderer Lager abblocken.
Auch eine Koalition Bersanis mit dem bisherigen Regierungschef Mario Monti, der Reformen auf den Weg gebracht hatte und dafür nun vom Wähler abgestraft wurde, reicht nicht zum Regieren aus. Rom blickt nun auf Staatspräsident Giorgio Napolitano, der in den kommenden Wochen mit den Beteiligten über die Situation beraten muss.
Bersani ließ offen, ob er lieber mit Berlusconi oder Grillo über eine Regierungsbildung in Italien sprechen will. „Wir haben nicht gewonnen, auch wenn wir vorne liegen“, zeigte er sich am Dienstag enttäuscht über das Patt.
Berlusconi hält Neuwahlen nicht für sinnvoll. „Jetzt denken alle darüber nach, was man tun kann“, sagte er zu dem Patt im Senat. Das werde einige Zeit brauchen. Der Medienmogul, der bis zu seinem Abtritt 2011 dreimal Ministerpräsident war, schloss eine Vereinbarung mit der Linken nicht ausdrücklich aus. Mit Monti will er partout nicht zusammengehen. Spekuliert wurde über die Möglichkeit einer breiten Übergangsregierung, die einige Reformaufträge erhält, bevor dann neu gewählt wird.
Grillo, Chef der populistischen Protestbewegung „Fünf Sterne“, will eine mögliche große Koalition von Linken und Rechten behindern. „Gegen uns geht es nicht mehr“, sagte er im Internet. Ein Bündnis Bersanis mit Berlusconi würde vielleicht noch sieben, acht Monate fortfahren können, Unglück anzurichten, meinte Grillo.
Die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewann Bersanis Mitte-Links-Bündnis mit 29,54 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium mitteilte. Damit liegt es denkbar knapp mit nur 124 000 Stimmen vor Berlusconis Bündnis, das 29,18 Prozent erhielt. Bersani bekommt als stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus einen Bonus für eine stabile Mehrheit von 340 der insgesamt 630 Sitze. Berlusconis Lager stellt 124 Abgeordnete. Grillos Bewegung „Fünf Sterne“ entsendet nach einem spektakulären Mobilisierungserfolg von 25,6 Prozent 108 Parlamentarier in diese Kammer. Montis Bündnis der Mitte erreichte lediglich gut 10 Prozent und verfügt über 45 Mandate.
Im Senat, der nach regionalen Gesichtspunkten gewählt wird, erreichte Bersanis Bündnis zwar landesweit die meisten Stimmen, es fehlen aber 35 Sitze zur Mehrheit. Nach den letzten Kalkulationen des TV-Senders SkyTG24 - das Innenministerium legte noch keine endgültige Bilanz vor - entfielen auf Bersani 123 Sitze, während Berlusconis Mitte-Rechts-Lager 117 erzielte. Aufsteiger Grillo erreichte 54 Sitze, abgeschlagen ist auch hier Monti, dessen Bündnis 19 Sitze bekam. Im Senat sind für eine Mehrheit 158 der 315 Sitze nötig.
Italien ist hoch verschuldet und steckt in einer tiefen Rezession - benötigt also sehr schnell eine stabile Regierung, die wegen nötiger Reformen auch länger amtieren sollte. Entsprechend reagierten die Märkte. Der deutsche Leitindex Dax verlor am Tag nach der Italien-Wahl zwischenzeitlich rund 2 Prozent. Besonders hart traf es den Mailänder Leitindex FTSE MIB mit einem Minus von zeitweise mehr als vier Prozent, der EuroStoxx 50 musste ebenfalls deutlich Federn lassen. Auch an den Devisen- und Anleihemärkten sorgte das Ergebnis des Urnengangs für schlechte Stimmung. Der Euro konnte sich von seinen heftigen Kursverlusten vom Vortag kaum erholen.
Die EU setzt auf eine schnelle Regierungsbildung in Rom. „Wir sind zuversichtlich, dass Italien rasch eine Regierung bekommt und seine europäischen Verpflichtungen einhält“, sagte der Sprecher der EU-Kommission, Olivier Bailly. EU-Parlamentschef Martin Schulz sagte: „Wir brauchen eine stabile Regierung in einem der wichtigsten EU-Mitgliedstaaten.“
Außenminister Guido Westerwelle hofft auf schnelle Bildung einer handlungsfähigen Regierung in Rom. „Wenn es um die Bewältigung der Schuldenkrise in Europa geht, sitzen wir alle im selben Boot.“ Ein Wahlergebnis wie das in Italien sei ein Problem, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble am Abend im ZDF „heute journal“. „Es liegt nun an den politisch Verantwortlichen in Italien, aus diesem Wahlergebnis das zu machen, was das Land braucht - nämlich eine stabile Regierung, die den erfolgreichen Kurs der Reformen fortsetzt.“
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück meinte, der Wahlausgang könnte „zu einem größeren Problem in der Eurozone beitragen“. „Bis zu einem gewissen Grad bin ich entsetzt, dass zwei Clowns gewonnen haben“, sagte er am Dienstagabend in Potsdam zu den Ergebnissen von Berlusconi und Grillo.