Blutiger Samstag in Kairo - Sorge vor weiterer Eskalation

Kairo (dpa) - Nach den blutigsten Zusammenstößen in Ägypten seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi wächst die Furcht vor einer Eskalation der Gewalt.

Bei den Auseinandersetzungen von Islamisten mit Sicherheitskräften wurden am Samstag nach unterschiedlichen Angaben zwischen 80 und mehr als 100 Menschen getötet und mindesten 800 weitere verletzt. Beide Seiten machten sich gegenseitig für das Blutvergießen verantwortlich.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Gewalt und rief die Übergangsregierung auf, „den Schutz aller Ägypter sicherzustellen“. Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton rief zum Gewaltverzicht auf. US-Außenminister John Kerry brachte in einem Telefonat mit Übergangsvizepräsident Mohammed ElBaradei die „tiefe Besorgnis“ der USA zum Ausdruck.

Kerry sprach von einem entscheidenden Zeitpunkt für Ägypten mehr als zwei Jahre nach Beginn der Revolution. „In diesem extrem unberechenbaren Umfeld haben die ägyptischen Stellen eine moralische und rechtliche Verpflichtung, das Recht auf friedliche Versammlung und Meinungsfreiheit zu respektieren“, mahnte der US-Außenminister.

Am Samstag war ein Ultimatum des Militärs an die Islamisten abgelaufen, sich an einem Versöhnungsprozess zu beteiligen. Andernfalls hatte die Armeeführung eine härtere Gangart angekündigt. Nach Ablauf der Frist waren zunächst keine Maßnahmen der Militärs erkennbar. Im Protest-Camp der Mursi-Anhänger in der Vorstadt Nasr City harrten auch am Sonntag noch Tausende aus.

In der Suezkanal-Stadt Port Said gerieten Anhänger und Gegner Mursis beim Begräbnis eines Islamisten aneinander. Ein 16-Jähriger wurde erschossen, mehrere Menschen erlitten Verletzungen.

Der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur übertrug indessen seinem Regierungschef Hasem al-Beblawi per Dekret die Befugnis, dem Militär die Verhaftung von Zivilisten zu erlauben. Praktisch bedeutet das, dass Al-Beblawi dem Militär in künftigen Krisensituationen freie Hand geben kann, neben oder anstelle der Polizei Demonstranten oder Ruhestörer zu verhaften. Bei den jüngsten Ausschreitungen in Kairo hatten Truppen der Bereitschaftspolizei auf islamistische Demonstranten gefeuert, die gegen die Absetzung Mursis am 3. Juli protestiert hatten.

Die Armeeführung und das Innenministerium haben mehrfach angekündigt, die Protestcamps der Islamisten in Kairo räumen zu wollen. Mansurs Dekret könnte auch damit im Zusammenhang stehen, denn damit könnte auch die Armee bei einer solchen Räumungsaktion eingesetzt werden.

UN-Chef Ban forderte die ägyptischen Sicherheitskräfte auf, die Menschenrechte zu achten. An die Demonstranten appellierte er, Zurückhaltung zu üben. Auch der britische Außenminister William Hague verurteilte die Gewaltanwendung gegen Demonstranten. Der schwedische Außenminister Carl Bildt schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Ich bin schockiert von der hohen Zahl an Toten (...). Die Sicherheitskräfte können sich der Verantwortung nicht entziehen.“ Ähnlich äußerten sich Bildts Amtskollegen in Norwegen und Dänemark, Esepen Barth Eide und Villy Søvndal.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete, viele der Opfer in Kairo seien durch Schüsse auf Kopf oder Brust getötet worden. Dies sei auf Videos zu sehen und von Augenzeugen bestätigt worden. Nach Augenzeugenberichten schossen die Sicherheitskräfte zunächst mit Tränengasgranaten, dann mit scharfer Munition auf die Islamisten. Ob unter den Demonstranten auch Bewaffnete waren, war nicht klar.

Die Muslimbrüder machten die Sicherheitskräfte für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. „Sie (die Polizisten) schießen nicht, um zu verwunden, sondern um zu töten“, schrieb Mohammed al-Beltagi, ein Mitglied der Führung der Organisation, auf seiner Facebook-Seite. Innenminister Mohammed Ibrahim sagte hingegen bei einer Pressekonferenz in Kairo: „Es war ein Trick der Muslimbruderschaft, um einen Zwischenfall zu provozieren und Sympathien für sich zu gewinnen.“

Armeekommandeur Abdel Fattah al-Sisi , der den Staatsstreich gegen Mursi ausführte, gilt nun als der eigentlich starke Mann im Land. Am Freitag, wenige Stunden vor den tödlichen Ausschreitungen in Kairo, hatte er Millionen Ägypter auf die Straßen gerufen, um sich von ihnen ein „Mandat“ für die Bekämpfung des „Terrors“ geben zu lassen.