Brasilianer im ganzen Land protestieren

Brasília (dpa) - Aus Protest gegen hohe Kosten der Fußball-WM 2014, Fahrpreiserhöhungen und Korruption sind in Brasilien mehr als 200 000 Menschen auf die Straße gegangen. In der Hauptstadt Brasília besetzten Demonstranten ein Zwischendach des Nationalkongresses.

In Rio versuchten Randalierer, das Regionalparlament zu stürmen und in Brand zu setzen. Die meisten Demonstrationen blieben jedoch friedlich. Präsidentin Dilma Rousseff begrüßte die friedlichen Demonstrationen als Zeichen für die Stärke der Demokratie in dem Land, das von 1964 bis 1985 von einer Militärdiktatur regiert wurde.

Die Demonstrationen trüben den laufenden Confederations Cup, der als Testlauf gilt für die in knapp einem Jahr beginnende Fußball- Weltmeisterschaft. Entzündet hatten sich die Demonstrationen an Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr. Doch die Proteste in rund zehn Städten richten sich auch gegen Korruption, die Milliarden-Ausgaben für die WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Zentrale Forderungen waren mehr Investitionen in Krankenhäuser, Schulen und Universitäten.

Rousseff, die während der Militärdiktatur im Widerstand war, wertete die Proteste positiv. „Brasilien ist heute stärker aufgewacht. Die Großartigkeit der Demonstrationen von gestern (Montag) haben die Energie unserer Demokratie bewiesen“, sagte sie in Brasília. Es sei gut, so viele Jugendliche und Erwachsene zu sehen, die mit Brasiliens Flagge in der Hand und die Nationalhymne singend ein besseres Brasilien verteidigten. Ihre Regierung höre diese Stimmen, die nach Veränderungen riefen.

Der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, gratulierte Rousseff zu ihren Äußerungen. Zugleich rief er die brasilianische Regierung auf, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die das Recht auf friedliche Versammlung garantierten und einen unangemessenen Einsatz von Polizeigewalt verhinderten. Alle beteiligten Seiten mahnte er zu einem „offenen Dialog“.

Die größte Menschenansammlung meldete am Montagabend Rio, wo nach Medienberichten schätzungsweise 100 000 Menschen an einem Marsch im Zentrum der Stadt teilnahmen. Die vor allem über soziale Netzwerke im Internet abgesprochene Aktion verlief friedlich. Doch vor dem Regionalparlament in Rio kam es zu massiven Ausschreitungen: Vermummte warfen Steine auf das Gebäude, rissen Absperrungen um und entzündeten Feuer auf der Straße. Ein Auto ging in Flammen auf, Molotow-Cocktails flogen.

Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein. Nach Medienangaben wurden etwa 20 Polizisten und mehrere Demonstranten verletzt. Im Parlament verbarrikadierten sich Beamte. Parlamentspräsident Paulo Mello sprach von Vandalismus und einem „Akt des Terrorismus“. Erst gegen Mitternacht griffen Sonderheiten der Polizei ein. Danach beruhigte sich die Lage.

Brasiliens Vize-Sportminister Luis Fernandes wertete die Unmutsäußerungen der Demonstranten als legitim: „Wir hatten 20 Jahre eine Diktatur. Das Recht auf Demonstrationen und freie Meinungsäußerung sind ein wesentlicher Bestandteil unseres freien Lebens“, sagte er am Dienstag beim täglichen Media Briefing des Fußball-Weltverbandes FIFA während des Confederations Cups in Rio.

In Brasília hatten Hunderte Demonstranten auch ein Zwischendach des Nationalkongresses besetzt, in dem Senat und Abgeordnetenhaus ihren Sitz haben. Das Gebäude wurde von dem brasilianischen Star-Architekten Oscar Niemeyer entworfen. Vor dem Kongress warteten starke Polizeieinheiten, die aber nicht eingriffen. „Der Kongress ist unser“, riefen die Demonstranten. Der Zugang zum Präsidentenpalast Palácio do Planalto wurde vollständig abgeriegelt. Nach mehreren Stunden löste sich die Demonstration auf.

Proteste gab es auch in den WM-Orten Porto Alegre, Curitiba, Salvador, Fortaleza, Belo Horizonte und in weiteren Großstädten. In São Paulo nahmen mehr als 60 000 Menschen an einem Protestmarsch teil. Dort war es die fünfte Aktion gegen die Erhöhung der Fahrpreise. Die Organisatoren kündigten für São Paulo weitere Proteste mit klarer Vorgabe an: „Das Ziel ist klar, einzig, objektiv und spezifisch: Rücknahme der (Preis-)Anhebung.“