Brasiliens Revolte erzwingt Teilerfolg

Mehrere Großstädte nehmen Preiserhöhung im Nahverkehr wieder zurück. Menschen kämpfen für bessere Löhne.

Rio de Janeiro. Die Partystimmung zur WM-Generalprobe in Brasilien ist zunächst verdorben. Zwar feiern die Brasilianer ihr Team. Doch vor den Stadien spielen sich bürgerkriegsähnliche Szenen ab.

Im Fußball-Land Brasilien prallen Parallelwelten aufeinander. „Die Revolte der Jugend“, „Brasilien geht auf die Straße“, „Der Gigant ist erwacht“, lauten Schlagzeilen, die die Regierung nervös machen. Sie gab in einem wichtigen Punkt nach. Doch die Demonstranten wollen mehr.

Präsidentin Dilma Rousseff versuchte nach der ersten Protestwelle diese Woche die unberechenbare Dynamik der Demonstrationen zu entschleunigen. „Die Stimmen der Straße müssen gehört werden. Die klare Botschaft von den Straßen ist: mehr Staatsbürgerlichkeit, bessere Schulen, bessere Hospitäler, bessere Gesundheitszentren und das Recht auf Mitsprache.“

Die Staatschefin höchstpersönlich hat fast klarer als die Demonstranten die Protestagenda formuliert. Es fehlte allerdings die Forderung nach einem Ende der Korruption.

Die Stimme der Straße wurde dann auch gehört. Die beiden größten Städte des Landes, São Paulo und Rio de Janeiro, leiteten wie zuvor schon andere Städte die Kehrtwende ein und nahmen Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr zurück.

Die Anhebung um 20 Centavos (sechs Cent) war der Zündfunke für die Proteste, denn die Busse und U-Bahnen sind für Millionen Brasilianer der einzige Weg, zur Arbeit zu kommen. Die Busse sind dabei oft überfüllt und stehen lange im Stau. Dafür noch mehr Geld zu zahlen, wollten viele einfach nicht einsehen.

Doch es war eben nur eine Forderung. „Não só 20 Centavos“— stand auf vielen Plakaten der Demonstranten: „Es geht nicht nur um 20 Centavos.“ Die Proteste sind gut organisiert und umfassen dutzende Städte sowie alle zwölf Spielorte der WM 2014. Der Chef des Brasilien-Institutes des „Woodrow Wilson International Center for Scholars“ in Washington, Paulo Sotero, sieht aber keine Parallelen etwa zum „Arabischen Frühling“ oder den Massenprotesten in der Türkei.

„Nachdem die Brasilianer nun fast zwei Jahrzehnte Demokratie mit wirtschaftlicher Stabilität probiert und schätzen gelernt haben, fordern sie nun mehr Demokratie und ein besseres Auskommen“, sagt er. Der Adressat der Forderung: „Ein politisches System, das zunehmend unfähig geworden ist, konkrete Antworten zu geben auf wirkliche Probleme für die Lebensqualität der Menschen wie etwa ein anständiges öffentliches Transportwesen.“

Dass zeigt sich auch bei den Protesten, bei denen auch der „neue Mittelstand“ Brasiliens und nicht etwa nur die Ärmsten der Armen auf die Straße geht. Auch sie sehen sich im Brasilien der Gegenwart trotz aller Fortschritte als Verlierer und wollen mehr Einfluss gewinnen.