Kommunalwahl in England Aufwind für Farage: Britisches Zwei-Parteien-System bröckelt

London · Etwa 100 Jahre lang wurde die Parteienlandschaft in Großbritannien von zwei Parteien dominiert: Labour und den Tories. Doch nun gerät das System ins Wanken. Dahinter steht vor allem ein Mann.

Nigel Farage trieb einst den Brexit voran, den EU-Austritt Großbritanniens.

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Die Kameras richten sich auf ihn. Nigel Farage trieb einst den Brexit voran - nun gilt sein Traum, nächster britischer Premierminister zu werden, nicht mehr als Luftschloss.

Mit seiner rechtspopulistischen Partei Reform UK setzte er bei den Kommunalwahlen in England nicht nur den konservativen Tories heftig zu. Auch die Labour-Partei von Premierminister Keir Starmer musste schwer einstecken.

Beide großen Parteien verloren deutlich. Neben Reform konnten auch die Liberaldemokraten und die Grünen zulegen. Nach Ansicht vieler Kommentatoren gerät das britische Zwei-Parteien-System dadurch ernsthaft ins Wanken. Farage erklärte es bereits für „erledigt“.

Der Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK träumt bereits vom Schlüssel zum Regierungssitz 10 Downing Street. (Archivbild)

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Reform gewinnt mit nur sechs Stimmen Vorsprung

Gewählt wurden nicht nur mehrere Gemeindevertretungen und regionale Bürgermeister, auch ein Abgeordnetenmandat für das britische Parlament wurde neu vergeben.

Im vergangenen Jahr gewannen die Sozialdemokraten von Labour den Wahlkreis Runcorn and Helsby nahe Liverpool noch mit mehr als 14.000 Stimmen Vorsprung. Doch jetzt setzte sich Farages Kandidatin durch, wenn auch nur hauchdünn, mit sechs Stimmen Abstand vor Labour.

In der Region Greater Lincolnshire wurde die Reform-Kandidatin Andrea Jenkyns deutlich vor den Konservativen zur Regional-Bürgermeisterin gewählt. Reform gewann Hunderte Sitze in Gemeinderäten hinzu, in mehreren werden die Rechtspopulisten künftig sogar den Ton angeben.

„Es war eine große Nacht für uns“, sagt Farage der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge und erklärt seine Partei mal eben kurzerhand zur wichtigsten Oppositionspartei im Land.

Kehr Boris Johnson als Retter der Tories zurück?

Es ist vor allem die konservative Tory-Partei, die so berühmte Regierungschefs wie Kriegspremier Winston Churchill und die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher hervorgebracht hat, die zittern muss. Farage hat sich zum Ziel gesetzt, die altehrwürdige Partei zu verdrängen. Spekuliert wird nun, ob Ex-Premier Boris Johnson als Retter der Tories zurückkehren könnte.

Noch unter Johnson hatte die Partei bei den Kommunalwahlen 2021 in etwa denselben Bezirken, in denen nun gewählt wurde, einen Kantersieg errungen.

Lange konnten die Konservativen Farage auf Abstand halten, der ihnen in verschiedenen Partei-Inkarnationen wie Ukip, der Brexit-Partei und zuletzt Reform UK von rechts Konkurrenz machte. EU-Austritt, Bootsflüchtlinge, der Kampf gegen „wokes“ Gedankengut: Worauf auch immer Farage sein Augenmerk legte, waren die Tories bald zur Stelle und machten sich seine Ansichten zu eigen.

Reform UK liegt in Umfragen an der Spitze

Doch der Abstand schrumpfte zuletzt deutlich. Ähnlich wie die AfD in Deutschland hat auch die Farage-Partei nach der jüngsten Parlamentswahl in Umfragen noch einmal kräftig zugelegt. Mit 25 Prozent liegt sie im Schnitt der jüngsten Umfragen sogar vor der Regierungspartei Labour (23 Prozent) und den Tories (21 Prozent). Zudem gilt die derzeitige konservative Parteichefin Kemi Badenoch als schwach.

Stünde jetzt eine Parlamentswahl an, könnte es laut Schätzungen dazu kommen, dass Reform zur größten Fraktion im britischen Parlament wird. Das wäre ein Schock, denn bislang sorgte das britische Mehrheitswahlrecht meist zuverlässig dafür, dass entweder die Konservativen oder Labour ein klares Regierungsmandat erhielten. Obschon nicht offiziell, war Großbritannien damit ein Zwei-Parteien-System.

Pakt zwischen Tories und Reform?

Alptraum der Tories ist, dass dieses System dauerhaft gestört sein könnte. Denn anders als Labour hätten die weit nach rechts gerückten Konservativen keine Option für Koalitionspartner außer Reform. Bei den Konservativen wird daher bereits diskutiert, ob es besser wäre, einen Pakt mit Farage zu schließen, bevor es zu spät ist. Badenoch schließt das bislang aus und auch Farage erteilte dem eine Absage.

Labour hat „Paranoia“ vor Reform

Die nächste Parlamentswahl steht zwar erst im Jahr 2029 an, und lokale Wahlergebnisse gelten nur eingeschränkt aussagekräftig für nationale Trends, doch auch in der regierenden Labour-Partei ist die Angst vor Farage groß.

LSE-Politikprofessorin Sara Hobolt spricht gar von einer „Paranoia“. Hintergrund ist, dass sich viele traditionelle Labour-Wähler aus der Arbeiterschicht, vor allem im Norden des Landes, beim Brexit-Referendum für den EU-Austritt ausgesprochen hatten. Bei ihnen dürften Farages Botschaften auf fruchtbaren Boden stoßen.

Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse. Premierminister Keir Starmer beteuerte nach der Schlappe in Runcorn and Helsby, er habe verstanden. Doch ein wirksames Mittel gegen den Erfolg von Reform UK scheint er noch nicht gefunden zu haben.

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(dpa)