"Dead or alive" - Osamas Tod beschert Obama Etappensieg

Washington. Ein gutes Jahrzehnt war er für die Amerikaner das Gesicht des internationalen Terrorismus, die Verkörperung des "Bösen" schlechthin. Nun ist Osama bin Laden tot. Zwar ist die Kommandoaktion in Abbotabad ein bedeutender Erfolg für die amerikanischen Geheimdienste und das Militär, auch hat sie einen angeschlagenen Präsidenten Barack Obama politisch beflügelt.

Gleichwohl wirft der Einsatz Fragen auf. Ist die Welt nun wirklich sicherer, oder drohen nun Vergeltungsschläge? Welche Auswirkungen hat bin Ladens Tod auf die Tumulte in der arabischen Welt?

Kein Mensch hatte geahnt, was an diesem späten Sonntagabend kommen würde, schon garnicht, dass es sich um einen historischen Moment handeln würde. Kurz nach 22 Uhr Ostküstenzeit flimmerten auf allen Fernsehsendern Eilmeldungen über den Bildschirm: "Präsident Obama wird in Kürze eine bedeutende politische Erklärung abgeben."

Bald danach bestätigten "verlässliche, regierungsnahe Quellen" eine Sensation: Osama bin Laden, seit den verheerenden Terroranschlägen von 9-11 der meistgesuchte Verbrecher auf dem Erdball, ist tot, vermutlich das Opfer eines Dronenangriffs - eine irrtümliche Annahme, wie sich später herausstellte. Das US-Militär sei im Besitz seiner Leiche. Anhand von DNS-Befunden sei unwiderlegbar nachgewiesen, dass es sich um den früheren Al Kaida-Chef und Architekten der Anschläge vom 11. September 2001 handelt.

Über eine Stunde lang wartete eine Nation wie gebannt auf Obamas Auftritt im traditionsreichen "East Room" des Weißen Hauses. Immer wieder wurden hunderte von Millionen Menschen, die ungeduldig vor dem Fernseher saßen, vertröstet. Der Präsident bereite seine sorgfältig formulierte Ansprache persönlich vor, hieß es. Es werde noch etwas dauern. Zwanzig Minuten vor Mitternacht war es dann soweit. Langsamen Schrittes, mit bitterernster Miene, näherte sich Obama dem Pult am Ende des langen Flurs im East Room. Dann verkündete er eine Nachricht, auf die seine Landsleute seit Jahren gewartet hatten: Osama bin Laden ist tot.

Eine Sondereinheit des Militärs hatte ihn in Abottabad, einer Garnisonsstadt nordwestlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad gefunden. Obama sprach von dem "bisher bedeutendsten Erfolg unserer Nation im Kampf gegen Al Kaida". Damit sei jenes Mandat erfüllt, das bereits sein Vorgänger George W. Bush erteilt hatte, nämlich den Drahtzieher von 9-11 "Dead or Alive" zu fangen, um jeden Preis also, ob tot oder lebendig. Auch stellte Obama in seiner neunminütigen Erklärung mit Genugtuung fest, dass es keinen "Kollateralschaden" gegeben habe, bei der präzise ausgeführten Kommandoaktion also keine Zivilisten ums Leben gekommen waren, lediglich bin Laden und drei seiner Gefolgsleute.

In der Hauptstadt strömten tausende von Menschen auf den Lafayette Square vor der Frontseite des Weißen Hauses. Auch am Ground Zero am Südzipfel Manhattans wurde gefeiert. Viele hielten bis tief in die Nacht Sternenbanner hoch und stimmten die Nationalhymne an. "Go USA! Go USA!" brüllten andere, die ihre geballte Faust hochstreckten. Erst in den Stunden danach sickerten die Einzelheiten jener Kommandoaktion durch: Im Schutz der Dunkelheit waren zwei Hubschrauber der Navy Seals, einer Eliteeinheit der US-Kriegsmarine, auf einem mit hohen Mauern und Stacheldraht abgeschirmten Anwesen in Abbotabad, einer wohlhabenden Kleinstadt 60 Kilometer außerhalb von Islamabad gelandet.

Vom Dach aus wurden sie von bin Ladens Wachleuten unter Beschuss genommen, konnten diese aber überwältigen, in die Villa eindringen und fanden dort schließlich den meistgesuchten Terroristen in der Geschichte. Wie amerikanische Medien berichten, gaben die Navy Seals bin Laden die Gelegenheit, sich zu ergeben. Der 53-Jährige aber weigerte sich. Niedergestreckt wurde er mit einem Kopfschuss. Drei weitere Menschen starben, entweder Wachleute oder Berater des Al Kaida-Chefs, wurde in Washington bestätigt. Zivilisten aber blieben verschont.

Unklar blieb bis zuletzt, wie die US-Geheimdienste und die Navy Seals bin Laden auf die Spur gekommen waren. Schließlich hatte man bisher geglaubt, bin Laden habe sich in den Gebirgen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgehalten. Auch hatte er in Abbottabad logistisch alles Erdenkliche getan, um sich dem Zugriff des CIA und der amerikanischen Streitkräfte zu entziehen. Er hatte keinen Internetanschluss, kein Telefon, und ließ sogar den Müll verbrennen, anstatt diesen vor die Tür zu stellen.

Für Obama handelt es sich um einen Prestigeerfolg, den selbst bittere politische Rivalen anerkennen. Der republikanische Kongressabgeordnete Peter King, Vorsitzender des Ausschusses für Heimatschutz und bisher einer der vehementesten Kritiker des Präsidenten, bescheinigte Obama: "er hat eine historische Leistung vollbracht, die unser Land stolz macht, die uns als Volk sicherer macht".