Demonstrationen nach Tod von 15-Jährigem in der Türkei
Istanbul (dpa) - Die Proteste gegen die türkische Regierung vom vergangenen Sommer haben ein weiteres Todesopfer gefordert. Ein Jugendlicher stirbt nach 269 Tagen im Koma. In mehreren Städten gab es am Abend Zusammenstöße.
Am Tod eines seit neun Monaten im Koma liegenden Jugendliche haben sich am Dienstag in mehreren Städten der Türkei neue Proteste gegen die islamisch-konservative Regierung entzündet. In Istanbul hinderte die Polizei mit mehreren Wasserwerfern Hunderte Demonstranten daran, am Abend auf den zentralen Taksim-Platz vorzudringen, wie Augenzeugen berichteten. Die Menge skandierte: „Schulter an Schulter gegen Faschismus.“ Über Demonstrationen wurde auch aus Ankara, Adana und Antalya berichtet. Der am Morgen gestorbene 15-Jährige war im Juni vergangenen Jahres auf dem Höhepunkt der Protestwelle von einem Tränengasgeschoss der Polizei am Kopf getroffen worden und lag seitdem im Koma.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan relativierte unterdessen die Androhung einer Blockade von Facebook und YouTube in der Türkei. Eine vollständige Sperre komme nicht in Frage, sagte Erdogan der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“ (Dienstagsausgabe). Doch werde er Fälschungen im Internet bekämpfen.
Der Jugendliche Berkin Elvan war im Juni vergangenen Jahres auf dem Höhepunkt der Demonstrationen gegen die islamisch-konservative Regierung von einem Tränengasgeschoss der Polizei am Kopf getroffen worden. Nach Darstellung seiner Familie war er unterwegs, um Brot zu holen. Bei den Protesten waren fünf Demonstranten und ein Polizist ums Leben gekommen.
Am Dienstag versuchten Demonstranten zunächst nahe des Krankenhauses Barrikaden zu errichten, um die Polizei zu stoppen. Demonstranten warfen Steine auf die Polizei und Polizeiwagen. Am Vortag hatte die Polizei eine Mahnwache für den Jugendlichen am Krankenhaus gewaltsam aufgelöst und mehrere Menschen festgenommen.
„An unser Volk: Wir haben unser Kind Berkin Elvan um 07.00 Uhr verloren“, twitterte die Familie des Jungen am Dienstag. Staatspräsident Abdullah Gül drückte den Angehörigen sein Beileid aus. Er rief dazu auf, neues Leid zu verhindern. Dies habe er auch den Behörden der Provinz Istanbul gesagt.
Die Proteste hatten sich im vergangenen Sommer an Plänen der Regierung entzündet, den Gezi-Park am Rande des Istanbuler Taksim-Platzes zu bebauen. Sie richteten sich bald vor allem gegen Erdogans autoritären Regierungsstil.