Analyse Proteste im Iran: Reformer gegen Regimewechsel
Teheran (dpa) - Zu Tausenden gehen die Menschen im Iran derzeit auf die Straße. Denn im islamischen System des Landes läuft vieles falsch. Das gibt sogar Präsident Hassan Ruhani offen zu.
Der Kleriker zeigt Verständnis für die regimekritischen Proteste, die das Land seit vergangenem Donnerstag erschüttern. Aber bei den Demonstrationen geht nicht mehr nur um mehr Reformen, sondern um einen Regimewechsel, der auch ihn betreffen könnte. Slogans wie „Mullahs schämt Euch, lasst unser Land in Ruhe“ und „Tod den Diktatoren“ skandieren die Demonstranten - ihre Botschaft ist kaum misszuverstehen.
Die Proteste werden immer gewalttätiger. Mindestens 19 Tote, Hunderte von Verhaftungen und zahlreiche Angriffe auf öffentliche Einrichtungen, auch Polizeiwachen und Kasernen hat es gegeben. Für den obersten iranischen Führer, Ajatolla Ali Chamenei, sind das keine Proteste mehr, sondern ein vom Ausland gesteuerter Aufstand. Chamenei verglich die Demonstranten mit „Söldnern“, die bezahlt würden, um der islamischen Republik zu schaden.
Viele Regimekritiker sind auf den Straßen, viele aber bleiben auch zu Hause. Diejenigen unter ihnen, die nicht öffentlich protestieren gehen, glauben immer noch an den Reformkurs und bezweifeln, dass mit solchen Straßendemonstrationen der politische Klerus-Apparat so einfach zu stürzen sei. Zu den Skeptikern gehören auch ehemalige politische Gefangene wie Fejsollah Arabsorchi. Ein Regimewechsel würde seiner Meinung alles nur noch schlimmer machen. Er und viele andere haben für den Reformkurs hart gekämpft und wollen nicht, dass durch unüberlegte Proteste der Weg für eine Rückkehr der Hardliner an die Macht geebnet wird.
Im Iran gehören de facto ja auch Reformer in der Regierung zu den Regimekritikern. Einer von ihnen ist Vizepräsident Ishagh Dschahangiri. „Reformen brauchen Zeit und der Weg zur Demokratie ist lang und holprig“, sagt Dschahangiri. Auch der im Land beliebte Reformer befürchtet, dass die jetzigen Proteste zugunsten der Hardliner ausgehen könnten. Sein Chef, Präsident Ruhani, sieht Proteste zwar als ein legitimes Recht der Bürger an - die müssten aber friedlich und über „legale“ Kanäle laufen.
„Das ist absoluter Quatsch ... der redet so, als wäre er Präsident in Skandinavien“, kommentiert ein Politologe Ruhanis Bemerkungen. Weder die Justiz noch das Innenministerium würden jemals Proteste genehmigen, die nur ansatzweise das Regime kritisieren würden. In einem Land, wo selbst ehemalige Präsidenten wie Mohamed Chatami (1997-2005) zu Dissidenten abgestempelt werden, könne es doch keine legalen Kanäle geben, über die einfache Menschen ihren Protest ausdrücken könnten, glaubt der Politologe.
Ein weiterer Beleg für diese These sind die beiden Führer der Grünen Bewegung, Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi. Der eine war mal Premierminister der Republik, der andere Parlamentspräsident. Sie stehen aber seit fast sieben Jahren unter Hausarrest. Ihr Delikt: Kritik an der manipulierten Wiederwahl des Hardliners Mahmud Ahmadinedschad bei der Präsidentenwahl 2009.
„Friedlicher und legaler als die Beiden hat bis jetzt noch keiner protestiert“, sagt einer seine Anhänger. Ruhanis Bemühungen, die Beiden nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2013 freizubekommen, blieben bis jetzt erfolglos. „Ein so machtloser Präsident sollte nicht über legale Kanäle für Proteste reden“, meint der Aktivist. Nach Ansicht von Beobachtern teilen auch viele Ruhani-Anhänger diese Kritik.
Doch es gibt auch andere Stimmen. „Keiner hat so viel für das Recht auf Freiheit der Menschen büßen müssen wie Mussawi“, sagte der Medienforscher Mohamed Altaha. Obwohl er damals unter Hausarrest stand, habe Mussawi im Mai vergangenen Jahres für Ruhani und seinen Reformkurs gestimmt. Der Grünen-Führer wisse halt besser als alle Demonstranten, dass Demokratie über Wahlen erreicht wird und nicht über Straßenslogans, fügt Altaha hinzu.
Der 23 Jahre alte Madschid aus Teheran, der arbeitslos ist, hält jedoch nichts von diesen Diskussionen. Er hat über vier Jahre umsonst auf Ruhani und die Reformer gehofft. Nun protestiert er, weil er in diesem islamischen Regime keine Perspektiven sieht. Er lebt immer noch bei seinen Eltern, konnte nach der Schule nicht studieren und hat immer noch keinen Job. Er kann nicht mal ausgehen, weil er auch dafür kein Geld hat. „Schwärzer als schwarz gibt es ja nicht ... - das ist mein Leben und deshalb habe ich nichts zu verlieren.“