Die Gefahr eines Bürgerkriegs wächst

Die Lage in der Ukraine spitzt sich zu. Russland führt Militärmanöver an der Grenze durch. Die Nato plant vorerst keine Antwort.

Die Gefahr eines Bürgerkriegs wächst
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Kiew/Moskau. Die Gefahr eines Bürgerkriegs in der Ukraine wächst. Die ukrainischen Regierungstruppen wollen ihre „Anti-Terror-Operation“ gegen prorussische Separatisten fortsetzen. Die Aktivisten kündigen Widerstand an. Damit droht neue Gewalt mit Toten und Verletzten.

Die Situation ist weiter extrem gespannt. Slawjansk steht unter Blockade. Die prorussischen „Selbstverteidigungskräfte“ sagen, die Stadt mit etwa 120 000 Einwohnern sei eingekesselt von den ukrainischen Regierungstruppen und gepanzerten Fahrzeugen. „Sie versuchen uns auszumerzen. Aber noch haben wir Wasser und Nahrung“, teilte ein Sprecher der Separatistenbewegung mit. Allerdings seien etwa die Geldautomaten blockiert und keine Geldüberweisungen mehr möglich.

Die von den USA und der EU unterstützte Führung in Kiew hält an ihrer „Anti-Terror-Operation“ fest. „Wir haben einen terroristischen Gegner, der sich hinter der Zivilbevölkerung versteckt“, sagt der Leiter des Anti-Terror-Zentrums, Wassili Krutow. Die Operation werde fortgesetzt bis zur „Übernahme der Kontrolle in diesen Regionen“, sagt Krutow, der auch Vize-Geheimdienstchef ist. „Leider haben diese Verbrecher eine gewisse Unterstützung in der Bevölkerung.“

Die Gefahr eines Bürgerkriegs ist groß. Die prorussischen Kräfte im Osten — und teils im Süden — erkennen nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch die neue prowestliche Führung in Kiew nicht an. Sie fordern Autonomie und das garantierte Recht, die eigene Sprache zu sprechen. Dagegen befürchten die proukrainischen Kräfte eine Abspaltung des Gebiets und wollen für die Einheit der Ukraine kämpfen. Bisher gibt es viele Appelle, beide Seiten mögen im Dialog eine friedliche Lösung finden — doch keine echten Initiativen.

Sie haben im Raum Donezk einzelne öffentliche Gebäude und Plätze besetzt und verbarrikadiert. Es werden zunehmend soziale Forderungen laut aufgrund der anziehenden Inflation. Es gibt aber keine Massenbewegung — schon gar nicht für einen Anschluss an Russland. Das weiß auch die Führung in Moskau. Nach russischen Angaben stehen in der russisch geprägten Region rund 2000 Aktivisten teils schwer bewaffnet bereit. Die Zahl der ukrainischen Truppen liege aber bei 11 000 Mann. Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von einem Ungleichgewicht der Kräfte, es drohe Gewalt mit vielen Opfern.

Russland hat bereits mit einem großen Militärmanöver im Grenzgebiet zur Ukraine auf Kiews Einsatz von Regierungstruppen gegen die Aktivisten reagiert. Bei neuem Blutvergießen würde Russland wohl — das zeigen viele Beispiele in postsowjetischen Konfliktgebieten wie Südossetien, aber auch Berg-Karabach und Transnistrien — als Schutzmacht auftreten und mit „Friedenssoldaten“ einmarschieren. Die internationale Gemeinschaft dürfte diese Grenzverletzung ohne Mandat erneut als Bruch des Völkerrechts verurteilen.

Angedroht sind für diesen Fall weitere, deutlich schärfere Sanktionen, die Russland wirtschaftlich treffen und international weiter isolieren sollen. „Wenn Russland weiter in diese Richtung geht, wird das nicht nur ein schwerer Fehler sein, es wird ein teurer Fehler sein“, warnte US-Außenminister John Kerry. Eine militärische Antwort etwa der Nato ist aber nach offiziellen Angaben nicht vorgesehen. Nach dem umstrittenen Anschluss der zur Ukraine gehörenden Schwarzmeerhalbinsel Krim bestraften die USA und die EU bisher russische Funktionäre mit Reiseverboten und Kontensperrungen. Neue Sanktionen sollen erstmals auch Wirtschaftszweige betreffen.