Die Geiseln von Sydney durchleben 16 Stunden Todesangst

Der Täter zwingt seine Opfer, per Telefon und Internet Angstbotschaften zu verbreiten. 17 von ihnen werden nun betreut.

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Sydney. Die 17 Geiseln von Sydney haben über Stunden Todesängste ausgestanden. Die Einzelheiten ihrer Tortur kommen einen Tag später langsam ans Licht. Der Geiselnehmer zwang sie, in Anrufen bei Zeitungen und Fernsehsendern und über das Internet Angstbotschaften zu verbreiten. Dem jüngsten, einem 19-jährigen Studenten, hielt der Sympathisant der IS-Terrormiliz eine geladene Waffe an den Kopf.

„Ich hatte eine Flinte am Kopf“, sagte der junge Mann mit Panik in der Stimme Redakteuren der Zeitung „Daily Telegraph“, die seinen Anruf entgegennahmen. Der Geiselnehmer war wohl erzürnt, dass einige Geiseln geflüchtet waren. Die Botschaft, die der Student vermitteln musste: „Auge um Auge — wenn noch einer rennt, stirbt einer“.

„Er sitzt direkt neben mir, ich habe den Lautsprecher an“, sagte eine andere Geisel in einem Anruf bei derselben Zeitung. Sie flehte, dass die Forderungen des Mannes erfüllt werden — unter anderem die Anlieferung einer Flagge und ein Gespräch mit dem Premierminister. „Sonst kommen wir hier nicht raus.“

Wie die gefangengehaltenen Mitarbeiter und Besucher des Lindt Chocolat Cafés sich gegenseitig unterstützten, wie sie die Ruhe wahrten und es schafften, stundenlang mit dem Geiselnehmer auszuhalten — am Dienstag sprachen sie noch nicht darüber. Viele seien sehr aufgewühlt, sagte eine Polizeisprecherin. Die Geiseln bekamen Hilfe, um die traumatischen Ereignisse zu verarbeiten.

Der Iraner hielt die Leute nicht nur mit seiner Waffe in Schach. Eine 42-Jährige zwang er, sich auf ihrer Facebook-Seite zu äußern: „Er droht jetzt, uns alle umzubringen“, schrieb sie. „Wir brauchen Hilfe, jetzt. Er will, dass die Welt weiß: Australien wird vom Islamischen Staat angegriffen“.

Islamischer Staat ist der Name der Terrormiliz, die Teile Syriens und des Iraks erobert hat und mit grenzenloser Gewalt gegen Gegner, Minderheiten und Andersgläubige vorgeht. Der Iraner war in Sydney als selbst ernannter muslimischer Prediger und Heiler bekannt. Er sei von Extremismus besessen gewesen, sagte Premierminister Tony Abbott später. Der 50-Jährige zwang mehrere Geiseln dazu, Videobotschaften aufzunehmen und auf die Internetplattform Youtube hochzuladen.

Vor dem Schild des Lindt Cafés und einer Flagge mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis musste eine Frau in die Kamera flehen: „Bitte helft uns.“ Die Geiseln mussten den Mann „Bruder“ nennen. „Unser Bruder ist gut zu uns“, musste eine andere Frau in die Kamera sagen. „Wir haben drei Forderungen“, sagte eine andere Frau unter Zwang.

Dazu gehörten die Lieferung einer IS-Fahne und ein Gespräch mit Premier Abbott. Im Gegenzug für das Gespräch kämen fünf Geiseln frei, sagte die Frau. „Es gibt drei Bomben in Sydney. Damit sie nicht gezündet werden, müssen unsere Forderungen so schnell wie möglich erfüllt werden.“ Die Polizei sagte später, es seien nirgends Bomben gefunden worden, auch nicht im Rucksack des Geiselnehmers, der bei der Erstürmung umkam. Je länger die Geiselnahme dauerte, desto fahriger sei der Mann geworden, berichtete Reporter Chris Reason. Er verfolgte die ganze Nacht über das Geschehen aus dem Studio eines Fernsehsenders gegenüber des Cafés.

Reason sah nach eigenen Angaben, wie der Mann die Geiseln anschrie und von einer in die andere Ecke des Cafés trieb. Als die Polizei gegen zwei Uhr Schüsse hörte, stürmte sie das Café. Der 34-jährige Manager des Geschäfts und eine 38 Jahre alte Anwältin und Mutter kamen ums Leben — ob durch Schüsse des Geiselnehmers oder der Polizei war zunächst unklar.