Empörung über Mo Yan: „Soll sich schämen“
Stockholm/Peking (dpa) - Vor der Verleihung des Literaturnobelpreises an den Chinesen Mo Yan nimmt der Streit mit seinen Kritikern an Schärfe massiv zu.
„Er sollte sich schämen“, sagte der weltberühmte chinesische Künstler Ai Weiwei am Freitag der Nachrichtenagentur dpa in Peking zu Mo Yans Verteidigung der Zensur im eigenen Land. „Er verteidigt dieses bösartige System.“ Der Regimekritiker verwies darauf, dass in China Schriftsteller und Künstler in Haft gesteckt oder bedroht werden.
Mo Yan stufte wenig später in Stockholm Kritik an seiner politischen Rolle als „Dreckwasser“ und „Steinewerfen“ ein. Bei der traditionellen Nobelvorlesung drei Tage vor Entgegennahme der Auszeichnung sagte der 57- Jährige nach dem vorab verbreiteten Text, der Gegenstand der Debatte habe mit ihm als Person „so gut wie nichts zu tun“.
Am Tag zuvor hatte er die Zensur in China mit lästigen, aber unumgänglichen Sicherheitskontrollen an Flughäfen verglichen. Gleichzeitig lehnte er es ab, einen offenen Brief von 134 Nobelpreisträgern zur Freilassung des inhaftierten chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo an den neuen Parteichef Xi Jinping zu unterzeichnen. In seinem Vortrag erwähnte er den 2010 in Abwesenheit ausgezeichneten Oppositionellen mit keinem Wort. Mo Yan nimmt seine mit acht Millionen Kronen (925 000 Euro) dotierte Auszeichnung am Montag aus der Hand von Schwedens König Carl XVI. Gustaf in Empfang.
„Dass ein Nobelpreisträger die Zensur unterstützt, kann auf keinen Fall akzeptiert werden“, sagte der Direktor des Hongkonger Pen-Zentrums unabhängiger chinesischer Schriftsteller, Patrick Poon, der dpa. „Wir alle sollten uns fragen, ob ein solcher Schriftsteller den höchsten Literaturpreis der Welt verdient hat.“ Ein Preisträger werde nicht nur an seinen schriftstellerischen Fähigkeiten gemessen, sondern auch an seiner Haltung gegenüber der Meinungsfreiheit.
Der im US-Exil lebende chinesische Autor Yu Jie nannte Mo Yan einen „Lakaien“ des Systems. „Er verteidigte öffentlich die Zensur der Kommunistischen Partei - das ist wie einst das Loblied deutscher Schriftsteller auf Adolf Hitler und Joseph Goebbels“, sagte Yu Jie.
„Mo Yans blinder Glaube an die Staatsgewalt und seine Ignoranz gegenüber persönlichen Rechten verwundert die Menschen“, schrieb der im südwestchinesischen Chengdu beheimatete Autor Ran Yunfei im Kurznachrichtendienst Twitter. Mo Yan betrachte die Staatsmacht als den „obersten Richter der Wahrheit“, kritisierte Ran Yunfei. Die staatlich kontrollierten Medien in China ließen in ihrer Berichterstattung die Antworten zur Zensur häufig aus und enthielten sich auch jeder Kommentierung. Wie andere Blätter berichtete die englischsprachige Tageszeitung „China Daily“, Mo Yan sei bei der Pressekonferenz in „humorvoller Stimmung“ gewesen.
Das auf Ausländer abzielende Blatt zitierte aber auch ausführlich seine Äußerungen zur Zensur: „Ich ärgere mich über alle Arten von Zensur, genauso wie ich die Sicherheitskontrollen vor Botschaften oder vor dem Besteigen eines Flugzeuges nicht mag. Sie verlangen sogar von einem, die Schuhe auszuziehen und den Gürtel abzulegen. Aber ich denke, Zensur - genau wie Sicherheitskontrollen - ist notwendig. Ich denke, Zensur von Nachrichten gibt es praktisch in jedem Land, auch wenn die Kriterien und das Ausmaß variieren können.“
„Seine Äußerungen waren eine mit den chinesischen Behörden abgestimmte Erklärung“, sagte dazu der Künstler Ai Weiwei. „Er ist ein Wächter des diktatorischen Systems und zugleich sein Nutznießer.“