Ende des Streits um Leiche Gaddafis
Tripolis/Kairo/Brüssel (dpa) - In Libyen soll an diesem Sonntag nun auch offiziell eine neue Ära beginnen. Nach dem Tod von Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi will der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, mit einem Tag Verspätung in Bengasi die vollständige Befreiung seines Landes verkünden.
Zuvor wurde noch der Streit um die Leiche des Ex-Diktators beigelegt. Auch Libyens Nachbarland Algerien zieht einen Schlussstrich und weist Gaddafis zweite Ehefrau Safija sowie mehrere Familienangehörige in einen nicht näher bezeichneten arabischen Golfstaat aus. Die Nato beschloss am Freitagabend das Ende ihres sieben Monate langen Militäreinsatzes in Libyen zum 31. Oktober.
Der bizarre Streit um den Leichnam des am Donnerstag getöteten Ex-Diktators scheint, ein Ende zu nehmen. Ursprünglich wollte der Nationalrat die Leiche an einem geheim gehaltenen Ort beisetzen, damit kein Wallfahrtsort entsteht. Dann forderte aber der Stamm Gaddafis die Herausgabe der Leichen des ehemaligen Machthabers sowie dessen Sohn Mutassim. Nun sollen beide Leichen an Angehörige übergeben werden. „Seine Familie kann entscheiden, wo und wann sie ihn begraben will“, sagte Ahmed Dschibril, ein Sprecher des Nationalrates am Samstagabend dem britischen Sender BBC. Nach islamischer Tradition werden Tote normalerweise binnen 24 Stunden beigesetzt.
Auch Libyens Nachbarland Algerien will einen Schlussstrich unter die Gaddafi-Ära ziehen. Wie die algerische Tageszeitung „Schoruk“ berichtete, hat die Regierung eine Ausweisung von Gaddafis zweiter Ehefrau Safija sowie mehrerer Familienmitglieder angeordnet. Safija war Ende August gemeinsam mit der Tochter Aischa, dem Sohn Hannibal sowie Mohammed, einem Sohn aus Gaddafis erster Ehe, nach Algerien geflüchtet. Zu dem Tross gehörten auch weitere Angehörige; insgesamt mehr als 30 Personen.
Gaddafi ist nach einem „Spiegel“-Bericht offenbar mit deutscher Geheimdiensthilfe aufgespürt worden. Seit Wochen schon sei dem Bundesnachrichtendienst (BND) der genaue Aufenthaltsort Gaddafis in dessen Heimatstadt Sirte am Mittelmeer bekannt gewesen, schreibt das Nachrichtenmagazin. Aus Sicherheitskreisen heiße es jedoch, es seien keine Geo-Daten mitgeteilt worden, die zu einem gezielten Angriff auf Gaddafi hätten führen können. Der BND verfüge traditionell über ein dichtes Quellennetz im Nahen Osten und habe genau gewusst, wo sich Gaddafi vor den Rebellen versteckt gehalten habe, heißt es in dem „Spiegel“-Bericht.
Die neue Zeitrechnung soll in Libyen jetzt mit einem Tag Verspätung am Sonntagnachmittag 15.00 Uhr (MESZ) beginnen. Der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, will eine feierliche Erklärung zur vollständigen Befreiung des Landes auf dem Hauptplatz in Bengasi abgeben. Nach der Feier soll binnen 30 Tagen eine provisorische Regierung gebildet werden. Diese soll dann bis Juni 2012 Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung vorbereiten. Dieses Gremium wiederum soll eine Verfassung ausarbeiten, auf deren Grundlage dann innerhalb eines Jahres ein Parlament und ein Präsident gewählt werden.
Für Aufsehen sorgte zwei Tage nach dem Tod Gaddafis die Nachricht, dass der Ex-Diktator angeblich ein Vermögen in Höhe von mehr als 200 Milliarden Dollar (144 Milliarden Euro) beiseite geschafft hat. Dies sei doppelt soviel, wie westliche Regierungen bisher angenommen hätten, meldete die „Washington Post“ am Samstag unter Berufung auf hochrangige libysche Offizielle. Der Umfang der angehäuften Besitztümer in allen Teilen der Welt in Form von Bargeld, Bankkonten, Immobilien, Goldreserven und Investments sei unfassbar.
Nach dem blutigen Ende Muammar al-Gaddafis beschloss die Nato das Aus ihres Libyen-Einsatzes zum Monatsende. Diese Entscheidung sei vorläufig, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitagabend nach einer Sondersitzung des Nato-Rates in Brüssel. Eine endgültige Entscheidung solle Anfang der kommenden Woche fallen, fügte er hinzu.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, verurteilte die weltweite Verbreitung von Fotos und Videos des toten Gaddafi als „moralisch inakzeptabel“. Den Milizionären sei es hier weniger um den „Beweis“ für Gaddafis Ende gegangen als vielmehr um das „sensationalistische Zurschaustellen“, sagte der oberste deutsche Katholik dem Nachrichtenmagazin „Focus“.
Zuvor war bereits dem britischen Fernsehsender BBC Kritik für seine Berichterstattung über den Tod Gaddafis entgegengeschlagen. 200 Fernsehzuschauer hätten sich beschwert, weil die BBC immer wieder ein Handy-Video ausstrahlte, das die letzten Sekunden des Despoten zeigen soll. Mary Hockaday, Chefin des BBC-Newsrooms, erklärte, die Bilder seien zweifellos schockierend gewesen. Es sei aber „ein wichtiger Teil der Story“ gewesen. Der Autor und Fernsehmoderator Mark Lawson schrieb dagegen auf der Website des „Guardian“: „Auch Tyrannen haben ein Recht auf Privatsphäre zum Zeitpunkt ihres Todes.“